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An der Datenbasis: Für Lioba Reddeker

Wer hat in den neunziger Jahren nicht hin und wieder gestöhnt, als die Rede auf Datenbanken kam – noch dazu nationale – in die alle Künstler_innen und ihre Aktivitäten „erfasst” werden müssten und für die biografische Informationen aufbereitet werden müssten, um diese online zugänglich zu machen. Lioba Reddeker, zu früh verstorbene Gründerin der basis wien (1) (2), gehörte zu den ersten im Kunstbetrieb, die Begriffe wie „Unique Identifier”, „Datenintegrität”, „relationale Architektur” und „SQL” verwendeten, und die das Potenzial erkannte, das in der Verknüpfung von biographischen Daten, Ausstellungsprogrammen, Texten und Publikationen lag. Doch in Zeiten teurer Hardware, rumpeliger Modemverbindungen und dokumentationsskeptischer Einzelkünstler_innen schien damals unabsehbar, wie innerhalb von nur zwei Jahren – solange waren die Bundeskurator_innen bestellt – eine einigermaßen reichhaltige Informationslandschaft aus dem Boden gestampft werden könnte. Mehr als ein Hauch Skepsis lag also in der Luft, als die mühselige Sammelarbeit begann, die damals – ohne Importmöglichkeiten aus bestehenden Systemen – das Anlegen von Datenbanken begleitete. Und worin sollte auch der Wert liegen, zu erfahren, dass Künstler X aus Innsbruck zuletzt an Ausstellung Y in Wien teilgenommen hatte, wenn der Information jeglicher Kontext fehlte? Mit dieser Haltung wendeten manche jedoch ein Vokabel gegen das Vorhaben, das sie gerade erst durch Lioba Reddekers Arbeit kennengelernt hatten. Onlinerecherche und methodisches Dokumentieren schien 1997 noch etwas Ehrenrühriges zu sein. Statt Datenjägern wollten alle kleine Obrists im Realraum werden, jettend durch die Orte und die Zeiten, um in Ateliers, Akademien und Eröffnungen jene persönlichen Relationen herzustellen, die paradoxerweise nirgends so treulich abbildbar sind, wie in jenen Datenbanken, denen die Skepsis der Netzwerker_innen galt und gilt. Zwei Merkmale machen gute Datenarbeit aus und Lioba Reddeker verfügte über beide: Genauigkeit und Ausdauer. Mit detailorientierter Genauigkeit sorgte sie dafür, dass von Beginn an großer Wert auf taugliche relationale Infrastruktur und wissenschaftliche Seriosität gelegt wurde. Von ihrer frühzeitigen Beschäftigung etwa mit internationalen Eingabestandards profitiert das System bis heute. Doch ihre wahre Größe zeigte sie in der Ausdauer, mit der es ihr zweimal gelang, das Fortbestehen der basis wien auch nach dem Auslaufen größerer nationaler Fördersummen zu sichern. Es nötigt immer noch allergrößten Respekt ab, sich daran zu erinnern, wie sie und ihre Mitarbeiter_innen – zuerst mit der Konzeption und Umsetzung von EU Projekten und in weiterer Folge durch Querfinanzierungsvereinbarungen mit ihrem Auftraggeber Red Bull – dafür sorgten, eine unglamouröse und für viele unsichtbare Sammlungsarbeit über mittlerweile fast 15 Jahre zu verstetigen. Wenn ein forschender Geist heute auf Knopfdruck z.B. das Programm des Off-Spaces Coco (13 erfasste Projekte) mit jenem altgedienter Galerien vergleichen kann, (z.B.: Hubert Winter mit 256 erfassten Projekten) oder plant, Birgit Jürgenssens Biographie (189 erfasste Ausstellungen) anhand von Rezensionen seit 1998 zu studieren, profitiert von jener Ausdauer. Denn das Wesen von Datensammlungen liegt darin, mit dem Verlauf der Zeit immer effizienter und reichhaltiger zu werden. Mehrere Faktoren machen Datenbanken erst ab einer kritischen Masse von Datensätzen ergiebig: Die Fülle bereits vorhandener Daten reduziert den Eingabeaufwand, während der Abfragenutzen überproportional steigt, da jeder neue Datensatz eine weitaus höhere Anzahl von Querbeziehungen ermöglicht, als in den Pionierzeiten des Mediums. Die nationale Beschränkung wurde bereits durch die erste vollständig eingegebene Künstlerliste einer internationalen Gruppenausstellung aufgehoben. Dass die Datenbank – laut ihrer eigenen Auswertung – heute 61037 Personen, 13476 Institutionen und 44104 Ausstellungen umfasst, ist nur numerischer Ausdruck für die dahinter liegende Dokumentation der Vernetzung von Personen, Projekten und Institutionen im mittlerweile globalen Maßstab. Gerade das Engagement für die internationale Verknüpfbarkeit von Kunstdatenbanken, der sich Lioba Reddeker in Kooperationsprojekten wie VEKTOR - European Contemporary Art Archives verschrieb, sicherte eine Orientierung an internationalen Wissensmaßstäben jenseits ehemals befürchteter Nationalbürokratie. Neben dem individuellen Dokumentations- und Recherchenutzen ist die Bedeutung dieses Pools für Forschung und Praxis kaum mehr zu unterschätzen, insbesondere wenn man an die Möglichkeiten von Netzwerkanalysen und die Erkenntnismöglichkeiten durch die Verbindung mit anderen Datenquellen – wie z.B. Kunstmagazinen – denkt. Auch diese "causerie" stellt ja technisch gesehen auch nur einen weiteren Datenbankeintrag dar. Denn da schließen sich die Kreise zwischen den Studien im Bourdieu´schen Geist, mit denen Lioba Reddeker – immer gut begleitet von Kurt Kladler – jene „Felder” zu erhellen vermochte, die andere lieber vernebeln wollen, und jenen Datenbanken, in denen kollektiv zusammengefasst wird, was als Biografie gemeinhin nur individuell – primär als Karrierenachweis – verzeichnet wird: Das Kunstgeschehen mit seinem Hang zu vereinfachender Egomanie braucht auch jene, die dazu beitragen wollen, die komplexeren Funktionsbedingungen transparent zu machen, die Fakten an der Basis zu erheben und die dadurch gewonnenen Einblicke zu teilen. Die Datenbank der basis wien verzeichnet heute bereits wieder 88 Ausstellungen (von 1206 im Jahr 2011), die alle erst nach dem Todestag ihrer Gründerin eröffnen. Dass alleine während des Schreibens dieses Texts bereits wieder einige dazugekommen sind, ist Ermutigung für alle, die mit Lioba Reddeker eine Komplizin im „Backstage” des Betriebs verloren haben: Ihre und unsere Arbeit gehen weiter.
Mehr Texte von Martin Fritz

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Ihre Meinung

2 Postings in diesem Forum
RIP
bitteichweisswas | 05.09.2011 06:25 | antworten
liebe Lioba
Im Datenhimmel ....
Christoph Blase | 05.09.2011 11:03 | antworten
... im echten und wahren, liebe Lioba, werden wir uns alle wiedertreffen und über unsere kleinen Festplatten lachen, auf die wir doch die richtigen Datenwolken gespeichert haben, jedenfalls die eine oder andere, die es sonst nirgendwo mehr gibt. (Und wenn die alten kleinen Festplatten verrecken, haben wir irgendwo noch ein 10-Pack früher CD-ROM-Kopien versteckt.) Bis später, so kurz vor 2050 Christoph PS: Lieber Martin, traurig, Tränen, aber Danke für den treffenden Nachruf.

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