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Kläranlage und Aufkläranlage. Tannhäuser neu inszeniert in Bayreuth

Tatsächlich: Zizek schreibt fürs Programmheft. Slavoj der Große, der letzte Stalinist, hat den Schritt getan, den auch unsereiner hier vollführt. Er gibt jenen Rechenschaftsbericht eines Kultur-Genießenden ab, den man Feuilleton oder sogar Kritik nennt. Zizek bei Wagner in Bayreuth zum Tannhäuser. Aber was soll man machen, ob man es nun richtig oder falsch findet: In jener Epoche, da die Ästhetik ganz und gar in Autonomie schwelgte, in den 1850/1860ern, sind die besten Dinge der Kunst entstanden, überhaupt und sowieso, Manet als Maler, Baudelaire als Dichter, Flaubert als Romancier oder eben Wagner als Komponist haben dafür gesorgt. Der Regisseur, Sebastian Baumgarten, wurde ausgebuht. Nicht zu Unrecht. Er ließ es sich gefallen, mit an die Wand projizierten Dämlichkeiten wie „Wir denken nach“ oder „Wir sind krank“ so etwas wie Betroffenheit herbei zu sinnieren. Er ließ sich Kalauer einfallen, wie eine Venus beim Sängerwettstreit, die dann von einem Kleriker wieder entfernt wurde; oder, der Gipfel: bei Tannhäusers finaler Zeile aus der Romerzählung „Wie dieser Stab in meiner Hand/nie mehr sich schmückt mit frischen Grün“ musste sich der Titelheld an den Schwanz greifen. Auch hat der Regisseur wieder eine Art Proszenium eingeführt und einiges Publikum auf die Bühne gesetzt; die Theatralik von heute ist, effekthascherisch, wie sie arbeitet, besorgt um die Zuschauer; auch Wagner ist effekthascherisch, vor allem aber ist er effektsicher. Noch so ein Regie-Einfall: Elisabeth, die Keusche, die Heilige, wurde zum Hedonismus verdammt, sie sollte Tannhäuser umgarnen und umarmen und mit auf den Venusberg klettern, als ließe sich darin ein Stück – auch im Programmheft heftig herbei akklamierter – Provokativität greifen. Doch in Zeiten von Oversexed und Underfucked ist das Gegenteil richtig, jenes, das schon Wagner, wenn auch erst in der Gegenwelt des Todes, triumphieren ließ: das Zölibatäre, das revolutionäre Antidot zum Kapitalismus, jenes Ohne-Mich, das der womöglich zweitbeste aller Musiker, Morrissey, im Übrigen seinerseits propagiert. Der Tannhäuser, 1845 in Dresden uraufgeführt – diese Fassung wird jetzt auch in Bayreuth gespielt -, ist das ultimative Exempel des Nazarenertums. Sein zweiter Akt ist nichts als Kunsttheorie, und die Debatte, die sie im Sängerscharmützel austragen, ist die Laokoon-Debatte. Es geht um Reinheit oder Entgrenzung, um Gattungsästhetik oder Transgression, um den Primat der Moral oder der Ästhetik, und die Art, wie Tannhäuser auf die puristisch-modernistischen Einlassungen seiner Kollegen Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide reagiert, lässt Friedrich Theodor Vischers Verhöhnung des Chef-Nazareners Friedrich Overbeck ein Jahr vor Wagners Oper, 1844, Revue passieren: Sie „glauben es zu glauben.“ Eben deshalb ist der Bühnenbildner, auf den die Buhs seinerseits niederprasselten, heftig zu loben. Joep von Lieshout und sein Atelier haben eine ihrer Kläranlagen installiert, bunte Kessel, die laut Aufschrift Biogas oder Alkohol enthalten und, wie Lieshout sagt, „eine obsessive Installation, die von Menschen betrieben wird“ ausmachen. Das, was hinten rauskommt, wird wiederaufgewertet in diesem Kompostiergerät, in selig Hundertwasser’schem Angedenken („Der Kreislauf vom Essen zur Scheiße funktioniert. Der Kreislauf von der Scheiße zum Essen ist unterbrochen“). Jedenfalls wird ständig getrunken auf der Bühne, es ist (bzw. wird so getan als wäre es) die Flüssigkeit, die beim Recyceln gewonnen wird, das Produkt aus Vermischung und Vermengung. Und genau davon wird auch in Wagners Text ständig geredet. Ein „Bronnen“ ist es, in den die Puristen – Wolfram und seine Minnesänger - nur hineinsehen dürfen, von dem die Transgressiven wie Tannhäuser dagegen trinken wollen, der den Künstlerkrieg auf die Spitze treibt. Und dieser Brunnen ist geradewegs die Anlage, die Lieshout auf die Bühne gestellt hat. Damit ist, in der konkreten Inszenierung und weit jenseits einer billigen Häme, eine Entscheidung getroffen worden, eine gegen die Reinheit und für das Flüssig-Süffige einer Hybridkultur. Wer immer für Lieshout und seine Entourage optiert hat: Es war eine perfekte Wahl (auch wenn es für die vereinigte, sich im Buh ein letztes Mal verausgabende Pensionistenschaft in dem ein Durchschnittsalter von ca. 75 Jahren aufweisenden Publikum nach Mätzchen aussah). Das Bühnenbild gerade hat dem Stück Aktualität mitgegeben. Richtige Aktualität. Am Anfang, schreibt Lieshout im Programm, wollte man „eine sehr dichte, durchgehende Aufführung von zweieinhalb Stunden machen“: Der Tannhäuser in einem durch, 150 Minuten, ohne die beiden jeweils eine Stunde messenden Unterbrechungen zwischen den Akten. „Aber die Festival-Gastronomie zwang uns, die Pausen einzuhalten.“ Soviel noch zur Autonomie in der Gegenwart.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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