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Vom Meisterschüler zum PhD: Titelkunde zum Semesterende

Das online Telefonbuch verzeichnet ihn / sie nur mehr 37 mal in Wien. Den „Akademischen Maler“ unserer Jugend, der immer nur ein Maler und nie eine Malerin war. Demgegenüber stehen 256 Einträge, die sich den „Mag. art“ (Magister/Magistra artium) verzeichnen lassen, der an seine Stelle getreten ist., was jedoch eher auf Titeldiskretion der Künstler_innen, denn auf Abschlussschwäche schließen lässt, wenn man berücksichtigt, dass – allein an einer der beiden großen Wiener Kunstuniversitäten – im letzten Studienjahr 284 Personen ein Diplomstudium abgeschlossen haben. (1) Es ist Semesterende und der nahende Ferienbeginn versöhnt die Angehörigen von Kunstuniversitäten mit dem Stress, den die Zeit der Abschlüsse mit sich bringt. Denn obwohl ein formeller Studienabschluss im Kunstsystem nur äußerst selten nachgefragt wird (die automatische Qualifizierung für die günstigere Sozialversicherung ist einer dieser Fälle), sind auch Kunststudierende daran interessiert, die Universität mit einem adäquaten Abschluss zu verlassen. Genauer gesagt mit einem Abschluss und einem Titel, da ja eine schöne Feier ebenso einen Abschluss darstellen könnte. In den Debatten zur Kunstausbildung der jüngeren Vergangenheit waren es jedoch primär die Titel, die für Außenstehende im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen standen. Leider erst auf den zweiten Blick erschlossen sich dadurch jene inhaltlichen Kontroversen, die hinter der leidenschaftlichen Ablehnung des „Bachelor-Master-Systems“ standen. Kurz gesagt wurde dabei „BA/MA“ zu einem Kürzel für jene „Verschulung“, gegen die sich – in seltener Einhelligkeit – sowohl Verfechter_innen tradierter Ausbildungskonzepte im Sinne der früheren „Meisterklassen“, wie auch diskursiv avancierte, linke Anti-Bologna Kräfte wandten. Drang man dann doch zum Kern der Debatten vor, wurde der Status quo der derzeitigen Diplomstudien als Freiraum verteidigt, der gegen die Zumutungen von „Employability“, globaler Vergleichbarkeit und „Effizienz“ geschützt werden müsse, zentrale Zielsetzungen des sogenannten Bolognaprozesses, mit dem seit 1999 ein wirtschaftsorientierter, vereinheitlichter europäischer Studienraum vorangetrieben wird. Als Ergebnis dieser breiten Ablehnung gibt es auf Wiener Kunstuniversitäten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – weiterhin keinen „Bachelor“, und dem scheinbar demokratischeren „Magisterstudium“ wird gegenüber den eliteverdächtigen „Masterprogrammen“ der Vorzug gegeben. Kaum zur Diskussion steht jedoch, dass alle diese Freiräume nur nach hoch selektiven Aufnahmeprüfungen betreten und genossen werden können. Auf der dritten Stufe der Bologna-Architektur – und weniger umkämpft – entstanden mit den „PhD´s“ und den dazu gehörigen – mindestens dreijährigen – Programmen neue Aktionsebenen für forschungsorientierte künstlerische Praxis, für die der Erwerb eines Doktorates nicht fachfremde Nebenbeschäftigung, sondern zentrale Handlungsform und adäquater Werkausdruck geworden ist. Die Fülle diesbezüglicher neuer Angebote weltweit – wie sie etwa über den Informationsservice „Art&Education“ kommuniziert werden – lässt vermuten, dass versucht wird, mit diesen Programmen auch einen Teil jener Lücken für Absolvent_innen und Lehrende zu schließen, die in einer markt- und quotenorientierten Institutionslandschaft zwangsläufig entstehen, ganz abgesehen davon, dass die Einrichtung und der Betrieb von Doktoratsprogrammen wiederum Finanzierungspotenziale für die Trägeruniversitäten beinhalten. Die Fixierung der Debatten auf die Abwehr von externen Zumutungen ließ im Übrigen etwas in Vergessenheit geraten, dass – zumindest an österreichischen Universitäten – weiterhin ausschließlich die Senate für die konkrete Ausgestaltung von Studienplänen zuständig sind, und dass daher der Diskurs über Form und Inhalt der jeweiligen Studien nicht nur von der vorgegebenen Struktur, sondern ebenso stark von inneruniversitären Willensbildungen abhängt. Es ist daher zu wünschen, dass im weiteren Verlauf der Debatten die Formulierung von Studieninhalten gegenüber der Titelfrage wieder an Bedeutung gewinnt. Letztendlich bestimmen nicht die Titel den Nutzen für die Studierenden, sondern die Qualität und Relevanz des vorhandenen Angebotes. So verblüfft etwa eine der international renommiertesten Kunstausbildungsstätten, die Städelschule in Frankfurt a. M., mit folgenden, lapidaren Aussagen zu ihren Abschlüssen: „Bereich Freie Bildende Kunst: Mit Beendigung des Vollstudiums wird eine Bescheinigung über das Vollstudium ausgestellt. Den vorzeitig von der Hochschule abgehenden Studierenden wird auf Antrag die Studienzeit bescheinigt. Es wird kein Diplom am Ende des Studiums verliehen.
Mehr Texte von Martin Fritz

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