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Normalzeit - 20 Jahre Lichterloh: Der Zeit ihre Kunst...

Nicht nur schick, sondern durchwegs beispielhaft, mitunter phänomenal kann es sein, wenn ein Firmenjubiläum außer mit Party auch mit guter junger Kunst begangen wird! Zwölf österreichische KünstlerInnen wurden von lichterloh, Wiener Handelsgesellschaft für Möbeldesign des 20. Jahrhunderts, beauftragt, anlässlich des erfolgreichen 20-jährigen Bestehens des Unternehmens zum Thema Zeit Position zu beziehen. Am 17. Juni wurde die Ausstellung der Werke unter dem Titel Normalzeit in der Expedithalle der ehemaligen Ankerbrotfabrik im Rahmen der Firmenfeier eröffnet. Ansatzpunkt zur künstlerischen Auseinandersetzung bot die historische Wiener Würfeluhr, die von 1907 bis 2007 den WienerInnen an 73 öffentlichen Knotenpunkten des urbanen Lebens zur alltäglichen zeitlichen Orientierung diente, 2007 wegen zu hoher Wartungskosten gegen ein moderneres System ausgetauscht wurde und auf Initiative von lichterloh nicht am Schrottplatz, sondern in den eigenen Lagerhallen landete. Dass das markante Design der originalen Zifferblätter in der aktuellen Version im öffentlichen Raum „modernisiert“ wurde, ist schade. Der Schriftzug Normalzeit ist dem der Wiener Städtischen gewichen (welche für zumindest zehn Jahre die Rechte darauf besitzt) und die vielkantigen Stundenmarkierungen sind durch einfache Balken ersetzt. Dabei war 1907 das Erscheinungsbild aufgrund einer Befragung der Wiener Bevölkerung entstanden, was doch ein denkwürdiges demokratisches Moment im absolutistischen System der k.k. Monarchie bezeugt. Die historische Würfeluhr sollte für die zwölf von lichterloh beauftragten KünstlerInnen nun ideellen oder auch materiellen Bezugspunkt zur kritischen Vertiefung in den umfassenden Themenkomplex der Zeit darstellen. Die künstlerischen Herangehensweisen geschahen dann sehr frei und unterschiedlich, der Vergleich der direkt nebeneinander präsentierten Arbeiten ist dadurch spannender als so manche gefundene individuelle Lösung: Klassisch und dabei wenig herausfordernd zeigt sich die Gestaltung vom Gespann Jakob Gasteiger / Sandra Nalepka, die verschiedene Daten aus der 100-jährigen Lebensspanne der Uhren an den Zifferblättern notierten. Auch Brigitte Kowanz überrascht nicht mit dem am Boden verspiegelten Glaskubus mit dem Neonschriftzug RUNDUMDIEUHR. Ebenso unverkennbar, doch ungleich fesselnder steht demgegenüber die authentische Qualität von Franz Graf, der die Thematik an den vier Schauseiten bzw. Zifferblättern in unterschiedlichen Kontext stellt. Heinz Frank lässt den Besucher in das Uhrgehäuse eintauchen, d.h. in eine Zeit, die an den vier Seiten nach vier verschiedenen Geschwindigkeiten abläuft. Eva Chytilek kehrt die Außenseiten der Uhr nach innen und erinnert mit der kapselartigen Form wie mit dem Titel Laika an die Unendlichkeit der Fortbewegung im All. Sehr angestrengt scheint sich Judith Fegerl zu haben, von ihrer radikalen Reduktion der historischen Vorgabe auf ein konstruiertes Gerüst ist zumindest die wiederholt wiederkehrende 8-eckige Form auf das Gehäuse der Würfeluhr beziehbar - und ihre Arbeit leistet die Energie für die Funktion manch anderer Kunstwerke, denn von ihren Steckdosen wird das Stromnetz dafür gespeist. Mit hohem Arbeitsaufwand war auch das Exponat von Jutta Strohmaier verbunden, die mit ihren beiden in den Uhrenkorpus versenkten Videos die individuelle Perspektive und Wahrnehmung von Zeit poetisch herausstreicht. Michael Kienzer hat hingegen ganz einfach eine Arbeit aus dem Jahr 2003 postiert, zwei funktionierende Zeigerpaare sind frei von Zifferblatt oder Gehäuse so aneinander gekoppelt, dass sich das Objekt unberechenbar fortbewegt. Möglicherweise ähnlich aus dem Fundus gegriffen hat Elke Krystufek. Sie mag vielleicht eine sehr persönliche Sichtweise vorstellen, aber zumindest für die BesucherInnen drängt sich der Konnex zwischen dem gestellten Thema und ihrem dreiteiligen Werk, bestehend aus einem gezeichneten Max Pechstein-Porträt, einem Hadid-Zitat und einem bewusst fehlerhaften Islam-Video, nicht unmittelbar auf. Gelitin zieht sich professionell aus der Affäre und ist einfach „anders“ mit einer eigenen Zeitgebung mittels Bitumen und Schwerkraft: der Titel Schon wieder Singularität ist selbstentlarvende ironische Eigenkritik – was soll man da noch hinzufügen? Christian Eisenberger gibt sich wieder einmal rebellisch, doch baut er im Grunde um das ausgehöhlte Uhrgehäuse ein installatives Vanitas-Stilleben, das sich, wenngleich ephemer, in die kunsthistorische Tradition einordnen ließe. Der Begriff der Zeitlichkeit ist im Kontext von Energie, prozesshaftem Entstehen wie Verfall vielschichtig bis ins Detail eingefangen, sei es mit den Mauern aus Würfelzucker, die wie jene der Politik fürs Niederreißen und zugleich für den Verzehr durch Ameisen bestimmt sind oder sei es mit der am Spitz angeschimmelten Bio-Zitrone in der „Form des Himalaja“, die über einem alten Uhrwerk auf einem Würfelzuckersockel aufgestellt ist. Assoziationen an die Capri-Batterie von Joseph Beuys sind genauso erwünscht, wie die Interaktivität der BesucherInnen. Der Aufforderung, weitere Ideen auf bereitgelegten Zetteln zu hinterlegen bzw. natürlich auf braunem Klebeband zu montieren, ist auch nachgekommen worden. Der Prozess der Werksentstehung wie der gleichzeitigen Zersetzung setzte sich somit während der Eröffnungsfeierlichkeiten fort. Denn „selbstverständlich“ hat Eisenberger konsequenter Weise die gesamte Arbeit dem Verfall verschrieben, auch um einen Zynismus dem klassischen Kunstbetrieb entgegen zu stellen – dessen viel gehypetes Liebkind er gegenwärtig ist. Mit Peter Sandbichlers Arbeit mag lichterloh eine spezielle Freude haben: In Anlehnung an Dalís Verrinnende Zeit nahm er der Würfeluhr ihre Standfestigkeit, indem er ihr Negativabbild in Form eines fetten weißen Silikonabgusses schlaff herabhängen lässt, der aber von innen kraft einer Neonröhre weit leuchtet. Geradezu symbolisch war Sandbichlers Werk die größte Lichtquelle während der gesamten Jubiläumsfeier. Aber eines hatte ihm Pepi Öttl, der die Party mit seinen gut durchdachten und komponierten Licht-Projektionen wie mit einem bewegten dreizehnten Kunstwerk stimmungsvoll bereicherte, voraus: nirgends ließ sich die Normalzeit, nach der die geordnete Welt funktioniert, ablesen – nur an den Seitenwänden der Halle und nur als Projektion.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Normalzeit - 20 Jahre Lichterloh
18 - 26.06.2011

Domenig-Galerie in der Ankerbrotfabrik
1100 Wien, Puchsbaumgasse 1
Email: gerti.hopf@gertihopf.at
http://kulturverband-favoriten.at/aktuell.html


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