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Full circle

Das Gallery Weekend Berlin So einen Auftrieb wünscht man sich wohl in jeder größeren Stadt für seine Kunstevents. Mit dem Gallery Weekend scheint Berlin sein Lieblingsformat gefunden zu haben. Wie jedes Jahr Ende April zogen Menschenmassen durch die Stadt und erkundeten weit über die 44 offiziellen Teilnehmer der Veranstaltung hinaus die Galerienszene der Stadt, oft in Gegenden, die sonst wohl kaum jemand besucht. Über die Jahre ergibt sich ein aufschlussreicher Parcours der mal mehr, mal weniger geglückten Gentrifizierung, mit der Kunstszene an ihrer Spitze. In der Hauptstadt hat dieser Prozess fast einmal die Runde gemacht. Ausgehend ab Mitte der 90er Jahre über das östliche Kreuzberg und Neukölln, ist man jetzt im alten Westen angekommen, in der Potsdamer Straße, und auch Charlottenburg wird wieder zum beliebten Standpunkt für etabliertere Galerien. Mittlerweile sind damit fast alle Bezirke abgegrast, es wird immer schwieriger, neue Areale zu entdecken. Und auch das Gallery Weekend zeigt deutliche Anzeichen der Etabliertheit. Stattliche 6.500 Euro kostet die Teilnahme mittlerweile – ohne Mehrwertsteuer. Für jüngere Galerien mit engagiertem Avantgarde-Programm entwickelt sich das zum Problem. Mindestens 20.000 Euro müssen umgesetzt werden, um keinen Verlust zu machen. Für die Großen ist das natürlich einfach – bei sechsstelligen Verkaufspreisen einzelner Werke ist das kein Kostenfaktor. Der Aufwand, den manche Galerie betreiben, reicht durchaus an museale Präsentationen heran. Capitain Petzel etwa haben eine Sarah Morris-Ausstellung mit Weltpremiere eines Films in einem nahegelegenen Kino auf die Beine gestellt, die manchen Kunstvereinsleiter neidisch machen kann. Blain Southern ließ im ehemaligen Tagesspiegel-Areal, das sich zum aktuellen Hot Spot der Szene entwickelt hat, von Tim Noble und Sue Webster einen abgedunkelten labyrinth-artigen Spiralgang errichten, in dessen Mitte das bizarre eigentliche Kunstwerk auf den Betrachter wartet. Allein am Sonntag wurden exakt 1.375 Besucher gezählt. Eigen + Art mietete für die aktuelle Olaf Nicolai-Installation einen zweiten Raum an. Arndt ließ Gilbert & George eigens zur ausgedehnten Signierstunde für ihre Postkartenserie anreisen. Nicht nur hier wurde geklotzt statt gekleckert. Dabei blieben kontroverse, zur Diskussion anregende Positionen allerdings weitgehend auf der Strecke. Am eindrücklichsten war die Schau gesellschafts- und kunstbetriebskritischer Arbeiten von Santiago Sierra und Cady Noland bei kow (Koch Oberhuber Wolff). Unter anderem stand ein echter Kriegsveteran in einer Ecke und schämte sich (courtesy of Santiago Sierra). Unter dem Strich hatten viele Teilnehmer und Besucher das Gefühl, das Gallery Weekend sei Berlins bessere Messe. Doch musste auch hier festgestellt werden, dass die früher so gern anreisenden amerikanischen Besucher mal wieder zuhause geblieben waren. Kein Wunder, haben die doch mittlerweile eine Woche später ihre eigene Galerie-Sause. Und New York ist nicht die einzige Stadt, die das Berliner Format kopiert. Paris, Brüssel, das Rheinland etc. pp. Die Liste dürfte noch länger werden. Wenn dann jede Kunstregion ihre eigene regionale Leistungsschau hat, wird kaum noch jemand woanders hin reisen wollen. Und das müssen eben doch wieder Messen her, die neben der internationalen Galerie-Konkurrenz auch das auswärtige Sammlerpublikum in die Stadt holen. Und was macht Berlin dann, wenn es seine eigene Messe abgewürgt hat, wie es gerade zu passieren droht? Ein bisschen mehr lokale Kooperation könnte vielleicht doch das zukunftsträchtigere Modell sein.
Mehr Texte von Stefan Kobel

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