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Solidarität und Freiheit. Petitionen anderswo II

Neben den zahlreichen Aufrufen im Rahmen der weltweiten Kampagne zur Freilassung des chinesischen Künstlers Ai Wei Wei – weiterhin ist von dem am 3. April festgenommenen Künstler nicht einmal der Aufenthaltsort bekannt – steht oft ein Link zu einer weiteren Petition, die zur Solidarität mit dem entlassenen Leiter der im April eröffneten Sharjah-Biennale Jack Persekian aufruft, der wegen der öffentlichen Empörung um ein Werk des algerischen Journalisten und Künstlers Mustapha Benfodil seiner Funktion enthoben wurde. Benfodils Arbeit, von Sabine B. Vogel in ihrer Rezension für „Die Presse“ neben anderen als „großartig und bewegend“ beschrieben, thematisiert die methodischen Vergewaltigungen algerischer Frauen durch islamische Extremisten in den Bürgerkriegen der neunziger Jahre. Nicht zuletzt, da die jüngste Repressionswelle in China häufig mit der Furcht der chinesischen Behörden vor „arabischen“ Rebellionen in Verbindung gebracht wurde, ist man versucht, die Ereignisse in Verbindung zu bringen, obwohl sich die Konsequenzen für Persekian weniger dramatisch darstellen als für den inhaftierten Ai Wei Wei, wobei zu bedenken ist, dass auch der indirekte Vorwurf der Islamfeindlichkeit zu beträchtlichen Risiken führen kann. (1) Beide Ereignisse rufen in Erinnerung, dass es schon immer zu den Schwachstellen der politischen Credibility des Kunstbetriebs gehörte, wenn repressive Systeme primär daran gemessen wurden, wie sie mit Kunst und Künstler_innen umgehen, oder Autoritätsmissbrauch damit relativiert wurde, dass Machthabende (Scheichs, Fürsten, Museumsdirektor_innen, Parteien …) „viel für die Kunst getan“ hätten. Dabei sollten nicht zuletzt die vielen Jahrhunderte künstlerischer Blüte in feudalen Strukturen ausreichender Beleg dafür sein, dass für Systeme eben nicht als entscheidender Gradmesser gilt, wie sie mit der Kunst umgehen, sondern dass vielmehr das Augenmerk darauf liegen sollte, wie die Macht mit den ihr Unterworfenen verfährt, ganz egal ob es sich dabei um Künstler_innen, Erdbebenopfer, Bauarbeiter_innen, Journalist_innen oder anonyme Opfer religiös verbrämter Gewalt geht. Nicht zuletzt in einer derart solidarischen Haltung liegt eine weitere Parallele der beiden Fälle, da es wohl Ai Wei Weis Recherchen zur Verantwortung der Behörden für die Erdbebenopfer in Sichuan und andere aktivistische Äußerungen waren, die ihn schärfer ins Fadenkreuz des Regimes brachten, als seine Kunstpraxis im engeren Sinn. Und auch Mustapha Benfodils Statement zu den als obszön kritisierten Textbestandteilen seiner Arbeit lässt keinen Zweifel daran, wem seine Anteilnahme gilt: „Man kann die Wörter als schockierend empfinden, da Vergewaltigung schockierend ist. Alle Wörter dieser Welt können das grausame Leiden eines verstümmelten Körpers nicht wiedergeben, und was hier erzählt wird, ist leider keine Fiktion“. Zwar scheint die Sharjah-Kontroverse zum Teil auch eine Auseinandersetzung über die Sorgfalts- und Vermittlungspflichten von Kurator_innen bei der Präsentation von Werken im öffentlichen Raum zu sein – immerhin ist die Entfernung kontroversieller Arbeiten aus dem öffentlichen Raum auch hierzulande gut bekannte Übung – doch brachte der Vorfall schlagartig wieder in Erinnerung, dass nicht nur das Wohl und Wehe der Biennale, sondern das gesamte Land vom Wohlwollen des Herrschers Sultan bin Mohammed al-Qasimi abhängt, dessen Tochter Sheika Hoor al-Qasimi als Direktorin der Biennale vorsteht. Immerhin weitet sich der Blick des global agierenden Kunstsets wieder etwas über die Grenzen jener glamourösen Halbwelt, in der sich harte Repression oder Oligarchie häufig gerade durch Kunstsinn und ein gewisses „Laissez Faire“ gegenüber kritischen Intellektuellen zu tarnen weiß. Hier im Besonderen liegt Ai Wei Weis Verdienst und sein Vorbild über die Kunst hinaus: Nicht der eigene Spielraum und die eigenen Chancen sind der Gradmesser für politische Einschätzungen, sondern das hartnäckige Nachfragen nach den Lebensbedingungen anderer.
Mehr Texte von Martin Fritz

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