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Segantini: Malerei und Reisefieber

Ich mag keine Berge, ich liebe das Meer (wie ich keine Hunde mag, aber Katzen, wie ich Bernini gut finde und Borromini nicht oder Greenbergs Theorie des Modernismus und nicht jene Rosenbergs über das Action Painting). Dies vorausgeschickt ist zu erzählen, dass meine letzte, auch schon wieder vor 15 Jahren in Angriff genommene Bergtour dem Mouttas Muragl galt, jener zweieinhalb Tausend Meter messenden, nun ja, Erhebung über Sankt Moritz im Engadin. Ich habe den mit Schweizer Präzision funktionierenden Schrägaufzug genommen, oben aber ging es noch reichlich weiter, zum Schafberg nämlich, und dort war ich dann am Ziel. Ich konnte in Augenschein nehmen, was Giovanni Segantini an diesen Ort getrieben hat. Es gibt eine Hütte als eine Art Lieu de Mémorie, die daran erinnert, dass Blinddarmdurchbrüche auch schon im Jahr 1899, als Segantini eben daran verstarb, dem Kunstbetrieb schmerzliche Verluste bereiten können. Vor allem aber malte Segantini vor Ort. Er arbeitete an seinem Alpen-Triptychon, das lebensreformerisch und menschheitsbeflissen vom „Werden-Sein-Vergehen“ raunte. Der Mittelteil, der dem tätigen Dasein gewidmet war, entstand mit Blick auf das alpine Panorama vom Schafberg aus; für den ersten Teil ging Segantini ins Bergell, für den letzten skizzierte er am Maloja. Überall dort musste ich auch hin. Es ließ sich beobachten, dass der Meister zum einen nicht nur penibel die Silhouetten, die Kerbungen, Grate, Spitzen festhielt, sondern dass er zum zweiten die Motive viel enger anneinanderrückte als sie sich in Wirklichkeit darboten, dass er in eine zwar breitformatige, aber doch aufs Karree fixierte Vedute bannte, was als Gesichtsfeld eine Drehung um 180 Grad beanspruchte. Segantini, das zumindest ließ sich sagen, nachdem man den Augenschein in situ mit der Darbietung der drei Tafeln im Museum in Sankt Moritz verglichen hatte, Segantini war ein Virtuose buchstäblicher Verdichtung. Und seien wir ehrlich, ein wenig mehr als die pure Umsetzung ins Eins-zu-Eins darf man auch erwarten. Die Fondation Beyeler, Groß-Kunsthalle der mit Groß-Meistern nicht unbedingt gesegneten helvetischen Konföderation, bietet momentan dem Porträtisten der diversen Schweizen eine Retrospektive (allerdings ohne das Triptychon). Segantini hatte seiner Lebtag keine Staatsbürgerschaft, und abgesehen von gewissen Bergwelten war er auch malerisch ein Internationalist. Keiner, der die pointillististische Manier, die es in Paris aufzuschnappen galt, so geschmeidig mit dem Naturalismus, wie er zeitgeistmäßig wucherte, verband und die Einflüsse in eine Bildwelt goss, in der sich so etwas wie Reisefieber bemerkbar macht. Segantinis Bilder sind Vorzeigestücke jener Qualität, auf die die Avantgarde dann nichts geben wird. Sie sind visuell von höchster und durchaus banaler Attraktivität, ihre Oberflächen sind optische Sensationen und ihre Kolorite Werbung in sowohl eigener, künstlerischer, als auch fremder, touristischer Sache. Hinter keinem anderen wäre ich entsprechend hergefahren.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Segantini
16.01 - 25.04.2011

Fondation Beyeler
4125 Riehen / Basel, Baselstrasse 101
Tel: +41 - (0)61 - 645 97 00, Fax: +41 - (0)61 - 645 97 19
Email: fondation@beyeler.com
http://www.beyeler.com
Öffnungszeiten: Mo-So 10-18, Mi 10-200 h


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