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Tauschen und Teilen: Schattenwirtschaften im Kunstsystem

Wir starten wieder einmal im Kinderzimmer, wo komplizierte Serientauschgeschäfte wie „Gibst du mir das Puzzle, dafür lese ich dir noch vor, aber nur wenn du danach schläfst” ihren Anfang finden, und damit ein weiteres Indiz dafür liefern, dass Kindergarten und Kunstbetrieb nicht nur den Anfangsbuchstaben gemeinsam haben. Tauschen ist nämlich wieder in, und so verwunderte es wenig, als der Informationsdienst e-flux in den letzten Wochen die Gründung von time/bank, einer Zeittauschbörse für den Kulturbereich, bekanntgab. Was in der neuigkeitsfixierten Ankündigungssprache als Grundlage für eine alternative Ökonomie angekündigt wird, durchzieht den Kunstbetrieb seit jeher als zweite große Schattenwirtschaft, neben der angeblichen Bedeutung unversteuerter Gelder im internationalen Kunsthandel. Im Institutionsalltag gibt es etwa den Schriftentausch: Im Prinzip schenkt man einander die jeweils eigenen Publikationen bzw. tauscht sie für die Publikationen der Partner ein. Die Verbreitung der eigenen Bücher wird erhöht, die Institutsbibliothek füllt sich zu akzeptablen Preisen und das lästige Fakturieren von Kleinbeträgen fällt weg. „Gibst du mir deines, geb´ ich dir meines” ist das Prinzip, das die Welt der Kunsthallen und Museen durchzieht, setzt sich doch dieses „do ut des” sowohl im lokalen Rahmen (z.B.: bei technischen Geräten) wie auch im globalen Maßstab des Leihverkehrs („ein Vermeer gegen fünf Picassos”) fort. KünstlerInnen hilft das Tauschprinzip dabei, ihrer prekären Situation hin und wieder zu entkommen, wenn durch den glücklichen Umstand eines tauschwilligen Gegenübers Leistungen erschwinglich werden, für deren Barbezahlung die Mittel fehlen. Ordentliche Zahnversorgung steht somit nicht immer in direkter Korrelation zum Barbestand, da häufig Zahnärzte auf diese Weise zu Gelegenheitssammlern werden. Reproduktionsfotos, Transportleistungen, Texte, Ferienaufenthalte und Bauleistungen sind weitere, willkürliche ausgewählte, Beispiele für viele Leistungen, die im Umfeld von Kunstproduktion durch Tauschgeschäfte abgegolten werden. Die kalte Hand des Marktes bringt jedoch die meisten Tauschgeschäfte dann zum Erliegen, wenn die Kluft zwischen dem jeweiligen Geldwert des Kunstwerks und dem Geldwert der dafür angebotenen Leistung immer drastischer wird. Die Tauschzurückhaltung steigt im teureren Segment umso mehr, als jeder Besucher von Auktionen weiß, dass vieles den Weg in den Handel findet, was ursprünglich im Vertrauen auf persönliche Nahebeziehung gegeben wurde. Etwas geheimnisvoller scheint der Tausch von Kunstwerken unter KünstlerInnen zu sein: Ihn begleitet die Aura der besonderen Wertschätzung, insbesondere wenn er durch den bekannteren (sprich teureren) Künstler dem unbekannteren vorgeschlagen wird, wobei der umgekehrte Weg natürlich „protokollarisch” ungleich schwerer wäre. In der immer größer werdende Gruppe der nicht-künstlerischen Selbstständigen ist das Tauschprinzip ebenso bekannt, wobei im Unterschied zu KünstlerInnen selten Objekte Tauschgut werden, sondern primär Zeit und Know-How eingesetzt werden. Gegenseitiges „Aushelfen” prägt den Veranstaltungsbetrieb und strukturiert sich häufig rund um die gemeinsame Nutzung von Ressourcen, etwa in Gemeinschaftsbüros. Oft werden die Tauschleistungen scheinbar absichtslos bei regelmäßigen Treffen erbracht, die dem Teilen von Erfahrungen oder dem Austausch von Informationen gewidmet sind. Der Wert von Informationen hilft uns dabei, Medienangehörige als weitere Player im großen Tauschring zu identifizieren, sind es doch JournalistInnen, denen es gelingen muss, Informationsbedarf und Aufmerksamkeitsbedürfnis durch – oft langfristige – Serientauschgeschäfte mit ihren Quellen auszugleichen. Die meist undokumentierte Form bedeutet nicht, dass die Beteiligten kein halbwegs klares Verständnis der jeweiligen „Kontobewegungen” verbindet. Das oft gehörte „Der schuldet mir was.”, die förmliche Selbsterkenntnis „In jemandes Schuld zu stehen” oder das dankbare „Du hast bei mir was gut!” weisen direkt darauf hin, dass auch der informelle Tausch ein geregeltes System darstellt. Leider zeigt die Nähe dieser Formulierungen zum – bedrohlich ins Ohr geraunten – „You owe me one” aus dem Mafiafilm auch, dass den nicht durch Geld ausgeglichenen Schuldverhältnissen ein Element der Abhängigkeit bzw. des Abhängigmachens innewohnen kann, wie es etwa für politische Patronage kennzeichnend ist. Zwei Felder sind zu komplex, um sie in den Kurzaufriss der Kolumne zu zwängen, was nichts daran ändert, dass sie unsere Aufmerksamkeit verdienen: Der asynchrone Tausch von symbolischem in reales Kapital, mit dem oft Jahrzehnte später materiell schlagend wird, was ursprünglich nur Renomée und einen Insiderruf verschaffte, gehört ebenso zu den strukturbildenden Faktoren von Kunstwirtschaft, wie auch die Beobachtung, dass funktionierende Tauschbeziehungen räumlich und zeitlich halbwegs stabile Gesellschaften voraussetzen, in denen oftmaliges soziales Aufeinandertreffen der Tauschpartner dafür sorgt, die jeweiligen Ausgleichshandlungen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Vielleicht ist dies die Lücke, in die time/bank im globalisierten Kunstbetrieb stoßen will, indem das System erlaubt, Guthaben zu erwirtschaften und damit Zeit als Geld einzusetzen, mit dem dann ebenso indirekt, asynchron und zusätzlich kaufkraftunabhängig getauscht werden kann. Ich könnte daher zuerst User „Paolo” bei seinem Businessplan helfen und die Zeit im Gegenzug für Koreanischstunden bei User „Oceanontuesday” in London wieder ausgeben. Während ich dann user „Kap” in Chicago Deutschstunden gebe, fehlt nur noch einer, der im sechsten Bezirk die Miete zahlt.
Mehr Texte von Martin Fritz

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1 Posting in diesem Forum
Zeitbank
Martinkowic | 04.10.2010 02:37 | antworten
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