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Die Brown Sisters

Vielleicht ist das Vorzeigeobjekt der Olbricht Collection, die gerade in der Kunsthalle Krems exemplarische Stücke zeigt, jene Foto-Folge, in der Nicholas Nixon die Brown Sisters mit der Kamera festhält. 1975 hat er begonnen, die vier Schwestern aufs Lichtbild zu bringen, jedes Jahr einmal wird fotografiert und eine einzige Aufnahme ausgewählt für die Monumentalisierung zum Exponat. In immer gleicher Reihung stehen sie da, Laurie, Heather, Bebe und Mimi, und es ist beeindruckend und auch ein wenig schockierend, sie mittlerweile 35-fach dabei zu beobachten, wie der Gang der Dinge sich ihrer bemächtigt. Nicholas Nixon, "The Brown Sisters" Bild und Tod sind Komplizen: Ein Mensch stirbt, er ist nicht mehr da; doch dorthin, wo er war, lässt sich ein Bild setzen, ein Stellvertreter. Gemäß dieser von der Archaik an gültigen Praxis „findet ein Bild seinen wahren Sinn darin, etwas abzubilden, was abwesend ist und also allein im Bild da sein kann“, sagt Hans Belting in seiner 2001 erschienenen „Bild-Anthropologie“: „Das Bild eines Toten ist also keine Anomalie, sondern geradezu der Ursinn dessen, was ein Bild ohnehin ist. Der Tote ist immer schon ein Abwesender, der Tod eine unerträgliche Abwesenheit, die man mit einem Bild füllen wollte, um sie zu ertragen. Deshalb haben die Menschen ihre Toten, die nirgendwo sind, an einen ausgewählten Ort (das Grab) gebannt, und ihnen im Bild einen unsterblichen Körper gegeben: einen symbolischen Körper, mit dem sie resozialisiert werden, während sich ihr sterblicher Körper in Nichts auflöst.“ Bilder geben einen symbolischen Körper. Sie verkörpern. Unabdingbar dafür ist die Serie. Nicht die Einzeldarstellung trägt die Identität, sondern das Werk im Plural, das peu à peu vorführt, was ohnedies passiert. Als Caspar David Friedrich im Jahr 1826 die „vier Jahreszeiten“ malte, brauchte er dafür plötzlich sieben Bilder. Der gottgefällige Kreislauf von Frühling-Sommer-Herbst-Winter hatte einen Riss bekommen, und was eindrang in die Abgeschlossenheit des Ewig-Gleichen, waren die subjektiven Vorstellungen des Malers. Was sich der Zyklizität entgegensetzte, war Friedrichs Wissen um die eigene Existenz. Es war das Wissen um die eigene Sterblichkeit. Natürlich hatte es den Tod schon immer gegeben, doch dieser individuelle Tod hatte selbst etwas Zyklisches, etwas Überzeitliches, etwas von Rückkehr in die Aufgehobenheit des göttlichen Anderen. Nun aber trat das Skandalon der Vorläufigkeit auf den Plan. Das göttliche Andere wich dem Verdacht, dass alles auch ganz anders sein könnte. Alterität hatte keine Instanz mehr, auf die hin sich Vielfalt hätte delegieren und damit unschädlich machen lassen. Die drei Bilder, die Friedrich zusätzlich brauchte, um sich mit den Jahreszeiten ins Benehmen zu setzen, galten der eigenen Angst vor dem Sterben und der eigenen Hoffnung auf Erlösung. Sie waren Beschwörungen einer Sinnganzheit, von der Friedrich selbst am besten wusste, dass sie nicht mehr zu haben war. Die Brown Sisters, oder: den Letzten Dingen entkommt man nicht. Irgendwann ist die Folge zu Ende, die spezielle Serie, bei der die artifiziellen Bedingungen von Nixons Arbeit in eins fallen mit den Bedingungen persönlicher, menschlicher Existenz. Roman Opalka wird irgendwo zwischen vier und fünf Millionen aufhören, zu zählen und das Gezählte auf die Leinwand zu schreiben. On Kawara wird keine Datumsbilder mehr malen. Hanne Darbovens Lebenswerk der Arithmetisierung des Daseins ist bereits Vergangenheit. Und auch die Reihe der vier Schwestern lichtet sich beizeiten. Kunst ist ein Sein zum Tode.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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