Werbung
,

Die edlen Früchte und die Gouvernante: Mini-Volks-Fest

Zum zweiten Mal wagt es die Künstlerin Ursula Hübner, die seit 1998 an der Kunstuniversität Linz Malerei und Grafik unterrichtet, in der von ihr kuratierten Ausstellung mit dem etwas geheimnisvollen Titel „Die edlen Früchte und die Gouvernante“ ihre eigene Aufteilung des Sinnlichen, ergo des sinnlich Sichtbaren und Sagbaren zu demonstrieren: Vor einem Jahr erfolgreich im Kunstraum Niederoesterreich mit dem didaktischen Titel „New Folks“ gelaufen (siehe die damalige artmagazine-Kritik), ist die Fortsetzung derzeit im ehemaligen Speicher und dem Glashaus im Park von Schloss Harmannsdorf in Niederösterreich zu sehen. Einige der Jungen von Hübners Meisterklasse sind wieder dabei, in Begleitung von international arrivierten KünstlerInnen. Das eigentlich zu wenig bekannte Schloss ist Sitz des Internationalen Bertha von Suttner Vereins. Sämtliche hier realisierte Projekte sollen einen thematischen Bezug zu der bekannten österreichischen Pazifistin, Schriftstellerin und Friedensnobelpreisträgerin aufweisen. Zum Anlass ihrer 30 TeilnehmerInnen umfassenden Gruppenausstellung nahm Hübner die zweijährige Funktion Suttners als Gouvernante (1873-75) der vier Töchter der Schlossbesitzer. Hier verliebte sich die junge Frau in den Sohn des Hauses, den sie später im Verborgenen auch heiraten sollte. Weiters wird in der Ausstellungskonzeption Suttners Definition des Edelmenschen zitiert, der durch Edukation, auch in Kunst und Ästhetik, Zufriedenheit wie auch Kritikfähigkeit erlangt und zum guten Menschen wird. Mit zusätzlichen Referenzen, der „Frucht“ oder dem „Speicher“, will der ethische Exkurs oder die Utopie par excellence, nicht wie zumeist in der westlichen Kultur üblich, in Abgrenzung oder in Verbindung zum Animalischen (hier in Hierarchien des Lustvollen oder Machtvollen) reflektiert werden. Stattdessen wird die menschliche Verfassung synonym zur pflanzlichen begriffen, deren Früchte als „Blüte in der Samenreife“ (Hübner) enden. Dem entsprechend geht es hier um Ausbreitung weniger um Beherrschung von Empfindungen, um das Aufgehen im Leben und um kollektive Lebensgefühle im Gegensatz zu das Pronomen „Ich“ bevorzugende Sprachereignisse oder die Verbreitung kopflastiger Theorien. In den Einzelräumen wird seitens der Kuratorin bedächtig für die ausgewogene Neueinteilung positiver, überdrehter oder hysterischer Emotionen sowie Seelenzustände der Pubertät gesorgt. Werke, in denen das Fasziniert sein an Wutausbrüchen oder existenziellen Schrecken inszeniert wird, bekommt man erst am Ende der Ausstellung zu sehen (Video „Dropping Furniture“ von Hund & Horn) – die Bilder bereits reiferen Künstler (wie von Marcin Maciejowski) werden über mehrere Orte verstreut gezeigt. Die Arbeiten von Katrin Plavcak ruhen in Winkeln gleichsam verborgen. Die hypnotisierenden Bildnisse Max Müllers hängt Hübner hoch, nahezu an der Decke. Dadurch gewinnen Clemens Denk oder Andrea Lüth für ihre assoziativen Malvariationen, Images ihrer Kunstidole, an Platz. Die von Petra Braun in einer speziellen Technik aus eigenen Haaren in Handarbeit hergestellten „Weintrauben“ sowie ihre Bilder gemahnen an den exemplarischen Status der Heimatarbeit und Selbsterziehung. Im weiten Eingangsbereich werden die klassischen Themen der Kunstausbildung neu übersetzt: Akt (Stephanie Aigner) und Stillleben (Sabine Jelinek), Porträt (Elisabeth Neuwirth) und Landschaft (Vanja Krajnc, Johanna Serdinschek). Marlene Haderer und Eva Kadlec haben in der Parkanlage des Schlosses zur Eröffnung eine Performance inszeniert, in der die Kräfte der Natur für die Befragung der Befindlichkeiten junger Liebespaare und Singles herangezogen werden. Hübners Ausstellung ist nicht genuin politisch, doch versucht sie mittels Ästhetisierung und Repräsentation gängige Hierarchien sozialer wie ästhetischer Ordnung zu hinterfragen. Hervorzuheben ist der Einsatz eigener Arbeitskraft von Lehrenden auch bei der Produktion eines handgemachten Katalogbuchs in limitierter Auflage. „New Folks“ sind also einen Schritt weiter gekommen. Die Ausstellung ist ein Beweis, dass man in den Sommertagen aus der Stadt in die Provinz flüchten soll, weil dort laut Musikvideo (1994) von Max Müller „Die Erde ... der schönste Platz im All” wird.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Die edlen Früchte und die Gouvernante
18.07 - 19.09.2010

Schüttkasten Harmannsdorf
3713 Harmannsdorf/Waldviertel,
Öffnungszeiten: Freitag 16-19, Samstag und Sonntag 13-19 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: