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Drei Maler

Jacopo Pontormo (1494–1557) Zwei der vier Evangelisten-Tondi der Capponi-Kapelle in Santa Felicita in Florenz, Szene: Hl. Johannes der Evangelist, Tondo „Sonntag Abendessen im Hause Daniello mit Bronzino, es gab Fleischklöße. Montag Dienstag Mittwoch den Kopf, dem die Figur die Hand auflegt. Donnerstag zum Abendessen ein wenig gutes Fleisch, den Kopf mit dem Lorbeer gemacht. Freitag gearbeitet und gefastet.“ So und immer wieder genauso lesen sich die schriftlichen Hinterlassenschaften eines der bedeutendsten Maler der Kunstgeschichte. In aller Maul- und Gedankenfaulheit mischt Jacopo Pontormo Aufzeichnungen über sein Essen, seine Arbeit und seine Begegnungen zu einem grauen Allerlei, dessen einzige Abwechslung darin zu bestehen scheint, dass an einem Tag die Verdauung besser funktioniert als am nächsten, denn die gastro-intestinalen Zustände des Meisters nehmen noch den breitesten Raum ein in diesem sinistren Kalendarium. Die Nachwelt hat Pontormos Notizen mit dem freundlichen Titel „Il libro mio“ bedacht. Das Welt-, Menschen- und Selbstbild, das in diesen dürren, in den Jahren 1554 bis 1556 zu Papier gebrachten Zeilen zum Ausdruck kommt, hat gleichwohl nichts von Sympathetik. Der Kunstliterat Benedetto Varchi hatte dem Maler Pontormo in dieser Zeit ein Gedicht zugeeignet, gipfelnd in einem hymnischen „Du Glücklicher, der auf geheimem Wege, wo noch kein Menschenschritt sich eingedrückt, wandelt allein“. Der Mensch Pontormo notiert dazu folgendes: „Dienstag den Kopf des Putto gemacht, den gesenkten, zum Abendessen 10 Unzen Brot, und ein Sonett von Varchi bekommen.“ Caspar David Friedrich Abtei im Eichwald, 1809-10, Öl auf Leinwand, 110 × 171 cm Als Caspar David Friedrich, einer der bedeutendsten Maler der Kunstgeschichte, im Jahr 1826 die „vier Jahreszeiten“ ins Werk setzte, brauchte er dafür plötzlich sieben Bilder. Der gottgefällige Kreislauf von Frühling-Sommer-Herbst-Winter hatte einen Riss bekommen, und was eindrang in die Abgeschlossenheit des Ewig-Gleichen, waren die subjektiven Vorstellungen des Malers. Was sich der Zyklizität entgegensetzte, war Friedrichs Wissen um die eigene Existenz. Es war das Wissen um die eigene Sterblichkeit. Natürlich hatte es den Tod schon immer gegeben, doch dieser individuelle Tod hatte selbst etwas Zyklisches, etwas Überzeitliches, etwas von Rückkehr in die Aufgehobenheit des göttlichen Anderen. Nun aber trat das Skandalon der Vorläufigkeit auf den Plan. Das göttliche Andere wich dem Verdacht, dass alles auch ganz anders sein könnte. Alterität hatte keine Instanz mehr, auf die hin sich Vielfalt hätte delegieren und damit auschädlich machen lassen. Die drei Bilder, die Friedrich zusätzlich brauchte, um sich mit den Jahreszeiten ins Benehmen zu setzen, galten der eigenen Angst vor dem Sterben und der eigenen Hoffnung auf Erlösung. Sie waren Beschwörungen einer Sinnganzheit, von der Friedrich selbst am besten wusste, dass sie nicht mehr zu haben war. Gerhard Richter Schädel mit Kerze, 1983, Öl auf Leinwand, 100 x 150 cm „Was soll ich malen, wie soll ich malen?“ schreibt einer der bedeutendsten Maler der Kunstgeschichte unter dem Datum 12. Oktober 1986 in sein Notizbuch. Bei Gerhard Richter haben sich die Zufälligkeiten und Hinfälligkeiten des Daseins längst des künstlerischen Oeuvres bemächtigt. Wenn die alte avantgardistische Rede von der Einheit von Kunst und Leben Sinn macht, dann genau durch diesen Einbruch des Alltäglichen ins Artifizielle, den Pontormo noch wohlfeil hatte umgehen können und von dem Friedrich nichts wissen wollte. Was, so fragt es sich heute, ist überhaupt das Besondere an den Bildern? Wie lässt sich ihnen Außerordentlichkeit abringen gegenüber der Gleichförmigkeit dessen, was die Welt bereithält? Oder, wie Richter am 18. Mai 1985 räsonniert: „Jede beliebig hinzugefügte Form ändert zwar das Bild, aber macht es nicht falscher. Wieso verbringe ich dann aber oft Wochen, um irgend etwas hinzuzufügen, wenn alles geht?“ Richter arbeitet sich ab am Anything Goes. Alles geht, und wenn alles geht, dann kann alles genausogut anders sein. Die Kunst der Gegenwart kämpft vollends den Windmühlenkampf gegen die Kontingenz. „Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder heraus zu kriechen und einen Fuß immer so vor den anderen zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll.“ Dieses Lamento stammt von Georg Büchner, und er lässt es Georges Danton anstimmen, den Helden seines Stücks „Dantons Tod“. Wie so viele grämt sich Danton über die Stereotype seines Daseins, doch er wird sie hinter sich lassen. Er wird sie hinter sich lassen um den Preis einer Revolution. Wir andern haben dafür die Kunst.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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