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Meine Kontobewegungen: Aufwärmen für die Transferdebatte

Letzten Freitag war ich zu Mittag bereits mit 79 Euro im Minus. Nachdem sich die österreichische Bundesregierung bei einer Klausur auf die Einführung einer „Transparenzdatenbank” (vulgo: Transferkonto) geeinigt hat, in der nicht nur Transferleistungen, sondern auch Förderungen „etwa für Selbstständige, Landwirte und Kultur” (APA) verzeichnet werden sollen, bin ich auf der Suche nach meinem Kontostand. Protokoll eines Wochenendes mit dem Rechenstift: Ich beziehe derzeit 26, 60 Euro Kinderbetreuungsgeld pro Tag, und unsere Kinderkrippe wird von der Stadt Wien mit einem Grundbetrag von 245 Euro pro Kind und Monat sowie 226 Euro Betreuungsbeitrag gefördert. Legt man diese Förderung auf 22 Betreuungstage im Monat um, kommt man auf 21,40 Euro pro Tag und Kind, was uns verblüffend nahe an die 21,33 Euro Bundesbeitrag pro Besuch als Durchschnittswert aller Bundesmuseen im Jahr 2008 (1) bringt. Das MUMOK liegt bei 31,47 Euro, was meinen Mittagssaldo erklärt, da ich nach der Kinderkrippe das MUMOK besucht habe. Hätte ein Besuch der Kunsthalle Exnergasse mit ihrer geringeren Förderung meine Bilanz verbessert? Müsste die Gehsteigbenützung mit eingerechnet werden? Sollen wir das Kind aus der Kinderkrippe nehmen, oder wie kann ich sonst ins Plus kommen? Etwas weniger absurd werden diese Fragen, wenn man sie aus der Sicht „verteilender” Politik stellt, die sich in hochkonjunkturellen Boomjahren mit nur vage untermauerten rhetorischen Begründungsselbstläufern wie „gesellschaftliche Relevanz” oder „Verantwortung des Staates in einem der reichsten Länder der Welt” zufrieden geben konnte. Obwohl im Moment der gebetsmühlenartige Hinweis auf das Vorhandensein enormer Mittel zur Bankenrettung ökonomische Detailarbeit in der Begründung anderer Finanzierungsforderungen scheinbar überflüssig macht, braucht es keine prophetischen Gaben, um eine Verschärfung der Transferdebatte vorauszusagen, zu deren Individualisierung soeben die ersten Schritte erfolgen. So verbrachte ich den kinderkrippenfreien Samstag mit geringer Transferinanspruchnahme und hoffte, mich mit der Berechnung meiner Einkommenssteuerleistung wieder in den Stand der „Transfergeber” versetzen zu können. Der vermeintliche Ausweg entpuppte sich als Sackgasse, als ich erkennen musste, dass ich mit knapp unter 150.000 Euro Einkommensteuerleistung in Österreich seit 1990 nicht einmal jene Gehälter und Honorare bezahlen könnte, die ich selbst in diesen 20 Jahren im Zusammenhang mit geförderten Projekten bezogen habe. Dennoch verschaffte die Übung Erkenntnisse, etwa jene, dass der Betrag zwar für 20 Jahre Bundesförderung an das verdienstvolle Jazzatelier Ulrichsberg (Kunstbericht BMUKK 2008) gereicht hätte, aber nur für ein Fünftel der Förderung des österreichischen Filminstitutes für Hanekes „Das Weiße Band” (749.000 Euro lt. Tätigkeitsbericht Filminstitut 2008), dessen Koproduzent Stefan Arndt in einer Sonntagszeitung wieder die Verbindung zur Kinderbetreuung herstellte, als er in einem Interview feststellte, dass er bei Förderungen „im Wettbewerb mit deutschen Kindergartenplätzen” stünde. Mein letzter Versuch die Bilanz umzudrehen scheiterte am früheren Nationalratspräsidenten Andreas Khol. Gerade als ich begann, an einer Argumentation herumzubasteln, die dazu verwendet werden könnte, „gesellschaftlich wertvolle” Arbeit als Aktivposten im Transferkonto zu verbuchen, entdeckte ich in der „Presse” vom 9. 11. 2009 einen Kommentar, in dem er forderte, die von Freiwilligen erbrachte Arbeit „in Feuerwehr, Rettung, Alpenverein, Umweltschutz, Jugendarbeit, Pfarren, im Breitensport, in der sozialen Fürsorge für Mitmenschen (…) ” dem Transferkonto gutzuschreiben. Den Kontoausgleich verwehrte mir nicht nur, dass Kunst und Kultur in der Aufzählung fehlten, sondern auch, dass das Plädoyer des Burgtheaterbesuchers Khol (121 Euro Basisabgeltung pro Besuch (2)) nur die unbezahlte Arbeit umfasste. Kurz überlegte ich darum, ob ich am Montag die Kolumne ehrenamtlich schreiben sollte, um die Transferschulden des Wochenendes abzutragen, musste im verzerrten Kholschen Spiegelbild jedoch erkennen, dass nicht nur die Abgrenzungsdefinition als „gesellschaftlich wertvoll” nicht haltbar wäre, sondern auch, dass jede Ausgleichslogik durch Arbeit irgendwann in Zwangsarbeit mündet. Lockerer gesagt wäre es auch zu mühsam, wenn wir später im Altersheim ständig freiwillig Kunstveranstaltungen organisieren müssten, um unsere Pensionen (3) zu legitimieren. Ich werde also doch wieder eine Rechnung stellen. Vielleicht bringt mich das Honorar ja näher an die Zuverdienstgrenze und reduziert damit das Kindergeld. Wenn ich dann nie mehr ins Museum gehe ...
Mehr Texte von Martin Fritz

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