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Tugenden und Laster

Terry Eagleton erzählt in einem seiner jüngsten Bücher, nicht von ungefähr „After Theory“ betitelt, die folgende Anekdote über George Best, einen der besten Fussballer, die jemals in England spielten. Best hatte seine Schuhe an den Nagel gehängt, logierte im Fünf-Sterne-Hotel, führte eine ehemalige Miss World spazieren, lebte überhaupt in Saus und Braus und ließ sich gerade eine neue Runde Champagner und Kaviar servieren, als der Etagenkellner, der ihn samt Geliebter im Bett liegen sah, konsterniert fragte: „George, warum musste das alles so schief laufen?“ Die Logik des Kellners hat etwas für sich. Irgendwie hatte Best bei all dem verdammt schönen Leben, das er führte, tatsächlich versagt. Dafür, dieses Irgendwie in den Griff zu kriegen, gibt es seit 3.000 Jahren die Philosophie. Und die Kunst hatte immer auch ein Wort dabei mitzureden. Heutzutage allerdings raunt sie lieber über „Gender-Check“, über Tattoo-Transfer und Blick-Begehren. Beeinflusst ist sie dabei von genau jener für Theorie gehaltenen Schreibe, der gegenüber Eagleton ein großes, dickes „Danach“ beschwört. Vorbei sollte es endlich sein mit einer solchen Art von Weltzugang, die ein Weltentzug ist: „It seemed“, sagt Eagleton einleitend und hält diese Ansicht ein ganzes Buch lang durch, „that God was not a structuralist.“ Die Kunst und überhaupt das Kulturelle sollen wieder Themen aufwerfen und Antworten anbieten zu den großen Fragen des Daseins: zum guten Leben etwa oder zum Sterben Lernen, zur Liebe und zur Hilfsbereitschaft. „Gelegenheit und Reue“ hieß eine Ausstellung, die Eva Maria Stadler Ende 2004 damals noch für den Grazer Kunstverein gemacht hat. Das war ein Beispiel dafür, wie es auch geht. Kairos stand auf dem Programm, die antike Gottheit mit dem Kahlkopf, an dessen Stirn ein Schopf prangt, den man zu ergreifen oder eben zu verfehlen hat. Bei Niccolo Macchiavelli, dem Programmatiker des Aufsteigertums in der Renaissance, wurden es drei Dinge, die den Usurpator ausmachten. Zusammenkommen mussten fortuna, das Glück, virtú, die individuelle Fähigkeit, und caso, die Gelegenheit, und schon konnte aus dem Parvenü der Principe werden, der Tyrann und Condottiere. Der Usurpator ist heute der Investor. Ansonsten hat sich nicht viel geändert Was gerade eine gewisse Konjunktur hat, sind in diesem Sinn die Sünden. So, wie sie schon die Kirchenväter kannten. Eva Menasse hat ihr jüngstes Buch den „lässlichen Todsünden“ gewidmet, und nach getaner Lektüre ist es überhaupt nicht eindeutig, ob sie wirklich so nonchalant funktionieren, wie der Titel es vorgibt. Der „Spiegel“ von dieser Woche setzt das Thema gar aufs Cover, eingeführt mit einem Foto, das ganz auf Franz von Stucks Fin de Siècle – Aufreger „Die Sünde“ macht. Giotto, Invidia, Fresko um 1305 Da fällt mir noch eine Geschichte vom Beginn der Ära ein, in der wir heute noch stecken. Giotto, allgemein gelobt als Begründer der neuzeitlichen Malerei, hat unter den vielen Innovationen, die man ihm gutschreibt, auch eine ikonografische. In der Arena-Kapelle in Padua, um 1300 ins Werk gesetzt für einen, sagen wir, Banker namens Enrico Scrovegni, gibt es zuunterest der freskierten Bilderfriese einen in Grisaille, er zeigt die Tugenden und vis-à-vis die Laster. Unter diesen Lastern ist eine Weltneuheit zu besichtigen, die Darstellung der Invidia. Bis dato hatte es eine wichtigere Gestalt gegeben, die Avaritia. Auf Deutsch: Der Neid ist jetzt anstelle des Geizes, was als Sünde gilt. Willkommen im Kapitalismus.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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