Werbung
,

Männerphantasien: Noever, Morak, Strache und ich

Unsere Gasse ist eine freundliche Gasse. Im Windschatten einer großen Einkaufsstraße findet sich auf der einen Seite eine Putzerei, deren Inhaberin gerne über die Gasse hinweg grüßt, ein literaturaffines Café und daneben der Frühstücksraum einer günstigen Pension, der zuletzt wieder als öffentliches Lokal geführt wird. Auf der anderen Seite – zur Gänze das Erdgeschoß des Hauses, in dem wir wohnen – hält sich eine christliche Buchhandlung bereits zwei Jahre lang, während daneben ein Gebrauchtplattengeschäft Stoff für die etwas überalterten Jünger der Langspielplatte bereithält. Das Chinarestaurant, hinter den denkmalgeschützten Resten eines verfliesten Fleischhauerportals, wird so recht und schlecht von einem Ehepaar geführt, und daneben liegt das kleine straßenseitige Lager der Galerie für zeitgenössische Kunst am Eck. Dorf in der Stadt. Man kennt die einen und lässt die anderen in Ruhe. Im Notfall müsste man nur den Weg auf die große Straße finden und da wäre immer jemand, der helfen könnte. An Gedanken wie diesen sehen Sie, dass es ihrem Verfasser – „on the wrong side of five and thirty”, wie es bei Jane Austen heißt – nicht mehr allzu schwer fällt, längere Zeiträume zu überblicken und sich etwa an eine Zeit zu erinnern, in der Peter Noever noch nicht Direktor des MAK gewesen ist, und wir am Frühstückstisch nicht Jahresprogramme lesen mussten, in denen bereits auf den ersten fünf Sätzen „gesprengt”, „erkämpft” und „aus dem Weg geräumt” wird. Vor dem „Fluten des MAK mit zeitgenössischer Kunst”, so im Originaltext zum CAT-Projekt, rettet sich der Direktor auf das Dach des NS-Baus, der vom MAK immer „Gefechtsturm” genannt wird. Dort lässt er sich in einem edlen, langen schwarzen Mantel für ein Interview porträtieren, um prompt gefragt zu werden, ob denn Berichte über Besucherrückgang „Feindpropaganda” (im Original ohne Anführungszeichen) wären. Nun ist der stilbewusste Noever sicher kein Rechter, wohl eher eine Art Freigeistanarcho mit generations- und genderbedingtem Hang zu Kampfrhetorik, dem es gelingt, in seinen wechselnden kulturpolitischen Gegenübern die Sehnsucht nach dem wilden, ungestümen Künstler hervorzurufen. Kulturpolitisch martialische Rhetorik pflegte auch Franz Morak, Staatssekretär für Kunst und Medien von 2000 bis 2007, der vor dreißig Jahren das Album „Morak” einspielte, dessen Cover ebenso voll von Männerphantasien ist wie Noevers Turm, zeigt es doch einen Morak in Panik und ein Mädchen mit Rasierklinge nahe seinem Schoß. Das damals als wild geltende Schauspieleralbum mit der Illustration von Gottfried Helnwein hängt derzeit im Schaufenster jenes Plattenladens in unserer Gasse, den man wohl als Männerheim bezeichnen könnte, da er zu jeder Tageszeit ausschließlich von lange stöbernden Männern besucht wird, die – oft in Sportjacken und mit Kappen und dadurch immer etwas bubenhaft – im Vinyl nach ihrer verlorenen Zeit suchen. Und so begab es sich, dass der Verfasser letzte Woche – mit Sportjacke und Kappe auf dem Weg zur Sohnabholung – in die Gasse trat, in der man sich am Gehsteig recht nahe kommt. Oft wollen daher Leute wissen, wie man zum Naschmarkt kommt, oder junge Zuzügler aus den Bundesländern fragen nett nach Lokalen. Verlässt man das Haus, hat man also urban kontaktbereit zu sein. Man geht ins Freie und biegt nach links, wo wieder einmal einer dieser Ex-Rebellen alleine vor dem Plattenladen steht. Diesmal die Ausführung mit Mantel, Dreitagesbart und hochgeklappptem Kragen, eine klassische Silhouette in der winterlichen Dämmerung. Überlegt er sich „Franks Wild Years” von Tom Waits zu kaufen, sinniert er über das etwas geckige Kostüm des „Don Giovanni” oder macht er sich am Beispiel von „Hifi-Karajan” Gedanken über die Verführbarkeit von Künstlern in totalitären Systemen? Ich husche knapp vorbei, darauf vorbereitet, im Mantelträger vielleicht sogar einen Bekannten zu erkennen, und dann stehen wir uns für eine halbe Sekunde gegenüber: Ich, der schreiende Morak im Regal, und dazwischen der jetzige Vorsitzende seines damaligen Koalitionspartners, der Hetzer und leider noch nicht Abzuschreibende: Strache. Ich musste plötzlich sehr schnell weiter...
Mehr Texte von Martin Fritz

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

2 Postings in diesem Forum
na ...
Walter Stach | 08.02.2010 04:57 | antworten
..., das hat mich aber interessiert.
Brav.
Ingeborg Knaipp | 08.02.2010 06:28 | antworten
Jemand, dermit Kunst zu tun hat, will nicht mit Strache reden. Kalt ist das Gegenteil von warm. Nach dem April kommt der Mai. Neuigkeit.

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: