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Das Kind

Altmeister-Ausstellungen haben stets ein Problem, und darin bemisst sich auch schon ihre Qualität: Welche Bilder sind zu bekommen, lautet das Problem, wer verleiht was, und wieviel muss man im Gegenzug dafür an eigenen Stücken oder sonstigen Ressourcen aufwenden. Die Botticelli-Schau des Frankfurter Städel macht da keine Ausnahme, und das Ergebnis ist, sagen wir, mittelmäßig. Fast achtzig Katalognummern umfasst die Präsentation, aber unter den versammelten Zweitklassigkeiten muss man sich die Trouvaillen schon ziemlich suchen. Neben dem eigenen Highlight des Idealbildnisses der Simonetta Vespucci sind dies vor allem das Großformat mit Minerva und dem Kentaur aus den Uffizien sowie die vierteilige Folge aus dem Leben des Heiligen Zenobius, die zum ersten Mal vollständig zu sehen ist und Werke aus der National Gallery in London, aus dem Metropolitan Museum und aus Dresden zusammenbringt. Sandro Botticelli, Anbetung des Kindes, Foto: Houston, Museum of Arts, Sarah Blaffer Campbell Foundation Collection Passend zur Jahreszeit hat man auch das Weihnachtsbild aus Botticellis Spätwerk, das jetzt in Houston zuhause ist, bekommen. Die „Anbetung des Kindes“ ist ihrerseits eine Kostbarkeit, ein Rundbild, das der Mode folgt, die Luca della Robbia mit seinen Majolika-Reliefs angestoßen hat, und die nun in das weitaus schwieriger zu handhabende Medium der Tafelmalerei übertragen wurde. 120 Zentimeter im Durchmesser misst der Tondo. Gezeigt wird das Neugeborene, dessen Göttlichkeit von seiner Mutter und seinem Stiefvater einer gläubigen Andacht unterzogen wird. Die obligatorischen Hirten gibt es samt Ochs und Esel rechts hinten, links im Hintergrund ist dafür ein rechter Anachronismus zu sehen, denn das heilige Personal taucht ein zweites Mal im Bild auf und fügt sich in eine Flucht nach Ägypten. Der Kleine scheint, ebenso wie Maria, um die Passion, die ihn dereinst sein irdisches Leben kosten wird, bereits zu wissen. Die Frau hat den typischen Ausdruck von Beleidigtheit im Gesicht, Prolepsis genannt, die Vorausschau auf das Leiden Christi. Und der Sohn ist in die Fläche drapiert, die Arme verschränkt wie später der Schmerzensmann, in eine anatomisch ganz unmotivierte Lage gebracht, als gälte es, die Pietà vorwegzunehmen. Das Arrangement ist auf dem Boden ausgebreitet, eine Demutsgeste, denn die Herrlichkeit, sie liegt im Herzen. Botticelli, so haben es die Zeiten überliefert, soll in fortgeschrittenen Jahren ein ziemlicher Eiferer geworden sein, ein Anhänger Savonarolas und orthodoxer Verfechter der Glaubensreinheit. Auch wenn die Frankfurter Ausstellung das zu dementieren sucht, gibt es gewisse Reflexe auf Armut, Keuschheit und Gehorsam in seinem Spätwerk – ob aufgrund eigener Überzeugung oder eines Mentalitätswandels in Florenz um 1500 sei dahingestellt. Und auch wenn unsere Zeit derlei Überzeugungen gründlich losgeworden ist: Weihnachten ist ohne Christlichkeit nicht zu haben. Wir wünschen ein frohes Fest.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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