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Le Pen ante portas!

\"Lieber mit Jean-Paul Sartre irren als mit Raymond Aron recht behalten\". Dieser Satz ist von jeher eine Sentenz in Frankreich. Die beiden Schulfreunde Sartre und Aron decken das Spektrum dessen ab, was politisch opportun war im 20. Jahrhundert. Aron war ein Liberaler, ein kühler Diagnostiker, dessen Analysen am Hier und Heute hingen. Sartre, das war der Nuntius des Nichts, der Propagandist der Verwegenheit, der mit den Totalitarismen seiner Zeit wenn nicht lieb-, so zumindest triefäugelte. Bis heute gilt seinesgleichen mehr in Frankreich. Was bei Georges Bataille als \"Überschreitung\" und bei Claude Lévy-Strauss als \"wildes Denken\" daherkommt, ist in Paris und seinen Nebengebieten nach wie vor Ausweis spezieller Intellektualität. Nun haben sie Le Pen und ihn sich auch selbst zuzuschreiben. Natürlich hat die Elite versagt, jene Nomenklatur, die vor Ort gerade einmal zwei Schulen entstammt: Ist sie politisch ausgerichtet, dann kommt sie von der ENA, definiert sie sich kulturell, entspringt sie der ENS. Enarchen und Normaliens bilden den großen Monopolbetrieb, den Kartellverband, der die Posten unter sich verteilt. Nein, Le Pen ist nicht Absolvent von einer dieser beiden Schulen. Karriere-Dünkel und der Hang zum intellektuellen Hoppla-Jetzt-Komm-Ich gehören zusammen: Die Clique sorgt dafür, dass die rhetorischen Überholmanöver nicht am nächsten Baum landen; und die denkerische Großtuerei umgibt noch jeden mittleren Beamten mit dem Hautgout geschichtlicher Notwendigkeit. Wie sich diese Mentalität im Kunstbetrieb ausnimmt, führt immer noch beispielhaft der Katalog der letzten documenta vor. Nicht Catherine Davids Ausstellungen, aber die im Begleitbuch publizierten Auslassungen Jean-Francois Chevriers stehen exemplarisch für die Prätentionen einer Meisterdenkerei, die glaubt, keine Barrieren zu kennen, nur weil man schon an den nationalen Grenzen hängenbleibt. Es verwundert immer wieder, dass die Franzosen nicht nur keine andere Sprache als ihre zugegeben wunderbare kennen, sondern damit auch überhaupt kein Problem haben. Lektüre ist ihnen sowieso nur das im eigenen Lande Verfasste. Also sprach Chevrier, Madame Davids Themen- und Thesen-Impresario im Katalog: \"Broodthaers las Lacan und besuchte sein Seminar. Auch Foucault hat er gelesen und verstanden. Deshalb stellt diese documenta ihn in den Mittelpunkt.\" Deshalb also. Nicht weil Marcel Broodthaers womöglich einer der bedeutendsten Vertreter der Conceptual Art war. Nein, weil er sich an Lacan und Foucault abgearbeitet hat. Lacan und Foucault: Mehr braucht es nicht für ein erwähltes Dasein. Nun haben sie Le Pen. Es zeigt sich, dass manchmal sogar noch weniger reicht.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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