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Islands + Ghettos. Über territoriale Segregation in Städten des 21. Jahrhunderts: Über den Tellerrand hinaus

Vor einigen Tagen wurde bekannt gegeben, dass man sich in Heidelberg über den diesjährigen ADKV-Art Cologne Preis für Kunstvereine freuen darf. In Berlin kann man sich derzeit von dieser durchaus zu befürwortenden Prämierung überzeugen, zumal das ambitionierte Ausstellungsprojekt des Heidelberger Kunstvereins „Islands + Ghettos“ gleich von mehreren Institutionen übernommen wurde. Der sperrige Titel mag abschrecken, doch er hält mehr, als er zu versprechen vorgibt: nämlich keine hermetisch bleibende, überintellektualisierte Theoriebebilderung, sondern für sich stehende und zugleich einander sinnvoll ergänzende künstlerische Positionen, die sich auf vielfältige Weise mit dem in vielen Städten beobachtbaren Phänomen einer zunehmenden räumlichen Polarisierung sowie mit dessen geopolitischen oder sozioökonomischen Zusammenhängen auseinandersetzen. Kartografische Illustrationen, Architekturmodelle oder auch fotografische Stadtansichten sind bei einem solchen urbanistischen Thema freilich in einer Vielzahl vertreten. „Slave City – Urban Plan“ (2005) von Atelier van Lieshout etwa markiert die gesellschaftliche Verinselung auf einer Karte, die fast ausschließlich Orte wie Bordelle, Call-Center oder Obduktionshäuser verzeichnet. Michael Zinganel & Michael Hieslmair kombinieren in „Crossing Gates“ (2008) Modellfragmente verschiedener Städte mit Tonspuren, in denen nüchtern die tagtäglichen Grenzüberschreitungen innerhalb eines städtischen, zugleich aber auch soziokulturellen Gefüges vorgetragen werden. In der fotografischen Annäherung inszeniert Luis Molina-Pantin die bis ins Groteske reichenden Auswüchse architektonischen Repräsentationswillens in Cali und Bogotá, während sich Carey Young in ihrer „Body Techniques“-Serie in teils explizitem Rekurs auf Valie Export mit dem eigenen Körper der kontrastvoll eingesetzten Stadtkulisse von Dubai wortwörtlich annähert. Die beiden explosionsartig expandierten Städte Dubai und Caracas stellen einen Schwerpunkt der Schau dar, was auch im Hinblick auf die – gerade ohnehin nicht wegzudenkende – Finanzmisere einen erhellenden, wenn nicht exemplarischen Kommentar liefert. Dazu passt dann auch die eigentlich eher plakative Bildwerdung von – materiellem – Geld durch Stuart Elster („Colossus“, 2007), mit der Symbolwert und implizite Exklusionsmechanismen veranschaulicht werden sollen. Wahrlich lehrreich dagegen die Videoarbeit „Living Megastructures“ (2003-2004) von Sabine Bitter & Helmut Weber, die sich den städteplanerisch missglückten Massenwohnblöcken in den sogenannten Barrios von Caracas widmen; Dorit Margreiter & Anette Baldauf setzen sich in „The She Zone“ (2004) mit einer nur für Frauen vorgesehenen Version einer Shopping Mall in Abu Dhabi auseinander und Harun Farockis Analyse solcher Nicht-Orte („Die Schöpfer der Einkaufswelten“, 2001) reicht bisweilen ins absurd Komische, vielleicht weil bei ihm gerade österreichische und deutsche Zustände beleuchtet werden. Mit Humor werden zudem in Javier Téllez’ „One flew over the Void (Balla Perdida)“ (2005) feste Gefüge außer Kraft gesetzt, indem eine Prozession psychisch Kranker an der mexikanisch-amerikanischen Grenze darin gipfelt, eine menschliche Kanone – einen amerikanischen Staatsbürger – über den Grenzzaun fliegen zu lassen. Peter Coffin geht einen Schritt weiter und steigert die Phantasie zur Utopie: In „Micronations“ (2009) versammelt er Objekte wie Briefmarken, Landesfahnen und dergleichen, die ein – fiktionales – Anderswo beschwören, wie es auch John Lennon und Yoko Ono auf ihrem „Mind Games“-Album (1973) herbeisehnten:„NUTOPIA has no land, no boundaries, no passports, only people“. Die deutschen Zustände mögen so weit noch nicht sein, doch bietet diese Ausstellung nicht zuletzt im Jubiläumsjahr des Mauerfalls eine erfreulich andersartige und nicht auf einen selbstbezüglichen Blick verkürzte Perspektive.
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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Islands + Ghettos. Über territoriale Segregation in Städten des 21. Jahrhunderts
14.03 - 26.04.2009

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