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Heiliger Ernst

Hab ich einen Wirtschaftsmenschen kennengelernt. Sehr interessanter Mensch, arbeitet in der Autozuliefererbranche. Dort hat man, wird mir erzählt, gerade Umsatzrückgänge von 70 Prozent. Das ist jede Menge Heu. Der Wirtschaftsmensch bleibt ganz ruhig, ist eben so im Moment. Obama, sagt er, findet er gut, auch weil er glaubwürdig so etwas wie Demut verkörpere. Der Wirtschaftsmensch verwendet wirklich das Wort „Demut“. Gegen die Krise, fügt er noch hinzu, wäre es am besten, man würde jetzt sein Geld ausgeben, nicht anlegen, nicht sichern, einfach ausgeben. Kommt ein Kunstmensch hinzu. Hat gerade eine Ausstellung kuratorisch betreut, mit der er für Furore sorgen will. Ob ich sie schon gesehen hätte, werde ich in leicht bedrohlichem Tonfall gefragt. Ja, sage ich. Und? Naja, sage ich, die Ausstellung ist ganz gut, nur der Künstler, dem sie sich widmet, der wird auch dadurch nicht besser. Aber van Gogh in der Albertina, den würde ich gut finden? Ja, sage ich, denn dort haben sie nicht nur einen Künstler, zu dem ohnehin alle rennen, sondern auch eine These. So in etwa der Dialog in Kurzfassung. Müßig anzumerken, dass das Zwiegespräch an Bedrohlichkeit des Tonfalls mit jedem Satz zunahm. Ob wir immer so miteinander umgingen, fragt da der Wirtschaftsmensch. Und jetzt, da einer fragt, dem derlei augenscheinlich ziemlich fremd, um nicht zu sagen barbarisch vorkommt, müssen wir antworten, ja, eigentlich gehen wir immer so miteinander um. Wir keifen uns an und ziehen uns gegenseitig auf die Blutwiese. Und zwar einfach deswegen, weil es um nichts geht. Bestenfalls eine Meinung. Aber die dafür mit Vehemenz. Robert Pfaller hat dieses Phänomen, Johan Huizingas Spieltheorie aufgreifend, als „Heiligen Ernst“ bezeichnet. Der Heilige Ernst, der dem profanen gegenübersteht. Der Wirtschaftsmensch ist geprägt, gegrämt, verbrämt vom profanen Ernst, von der Tatsächlichkeit der Krise und dem Status Quo des Verlusts. Wir aber ergehen uns in Wichtigerem. In der Heiligkeit solcher Dinge, die man nicht sieht und die bedeutungslos sind, aber, wenn man sie schon zu sehen und ihnen Bedeutung zuzuerkennen meint, von nichts anderem als metaphysischer Dimension sein müssen. Ein wenig war es uns dann doch peinlich dem Wirtschaftsmenschen gegenüber. Aber nicht lange. Schließlich sind wird Ästhetiker. Und als solche brauchen wir keine Manieren.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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2 Postings in diesem Forum
Kunst in der Krise?
Hohenlaucht | 25.11.2008 06:04 | antworten
Schön zu lesen, dass du auch die Finanzkrise damit ein wenig ansprichst, zumindest auf Seiten des Wirtschaftsmenschen, denn die rollt ja über uns hinweg, wie nichts anderes. Aber auch die kunst blebit nicht verschont, betonte ja gerade auch der albertina Direktor Schröder in Interviews. Und Recht hat er auf jeden Fall, es sollte viel mehr subventioniert werden und gerade da eine neue Regierung auf dem Plan steht, sollte das berücksichtigt werden, denn unser Land liefert wertvoolle Beiträge, sei es nun mit ausstellungen wie been den van Gogh als Publikumsmagnet oder auch das entstehen und Werden / ausbilden der jungen Künstler!
Stimmt
Ingeborg Knaipp | 01.12.2008 06:08 | antworten
"Schließlich sind wird Ästhetiker. Und als solche brauchen wir keine Manieren." Stimmt. Es gibt keine Branche außer der bildenden Kunst, in der schlechtes Benehmen und Anmaßung als Distinktionsmerkmal bzw. berufsspezifischer Habitus gelten. Da wird nicht zurückgegrüßt, überhaupt nicht gegrüßt, da werden Augenbrauen gehoben, da wird beleidigt und verarscht und abgesnobt, was das Zeug hält. Neulich war ich in einer Galerie mit nicht so bedeutender Kunst; dort waren die Galeristin und das anwesende Publikum freundliche, wohlerzogene und lustige Leute. Nicht, daß in bedeutenden Galerien mit bedeutender Kunst die Kunst wirklich immer so bedeutend wäre wie die Manieren der Anwesenden schlecht; dieses Gesellschaftssegment scheint aber jedenfalls gutes Benehmen für rufschädigend zu halten. Seit Adorno den Humor verboten hat, braucht man gute Nerven in diesem Beruf.

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