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Matisse. Menschen, Masken, Modelle: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit

Man würde eigentlich glauben, dass die großen Modernen spätestens seit der Erfindung der Blockbuster-Ausstellung in allen ihren publikumswirksamen Facetten durchdekliniert seien. Und dann das: Staunend erfährt man, dass das Portraitwerk von Matisse nicht nur bei der Wissenschaft bis vor kurzem keine gesonderte Beachtung fand, sondern auch vom internationalen Ausstellungswesen noch gar nicht auf die Agenda gehoben wurde. Aber nun hat man sich im Bucerius Kunst Forum in Hamburg in der dort bewährten Form – in einer kleinen, präzisen Schau mit entschieden hochwertigen Exponaten – dieses Desiderats angenommen, und siehe da: zu entdecken ist hier ein Maler, der die ihm üblicherweise anhaftenden Klischees durchaus Lügen straft. So wird etwa endlich mit dem – Malern gegenüber ohnehin leichtfertig geäußerten – schlüpfrigen Vorurteil aufgeräumt, Matisse habe seine Modelle auch gerne als Mätressen gewonnen; denn er hat, gerade zu Anfang seiner Karriere, vor allem auf die Frauen von Freunden oder die eigenen Familienmitglieder – und hier mit besonderer Vorliebe auf seine Tochter Marguerite, die sich im Rückblick einmal gar als „Ateliergöre“ bezeichnete – zurückgegriffen, um sie für sich sitzen zu lassen. Und selbst wenn man mit einigem Schrecken davon hört, dass Matisse seine Malerei als einen Akt der Vergewaltigung betrachtete, dann ist so etwas, erstens, insofern zu relativieren, als man es in eine Reihe mit kraftmeierischen Auskünften anderer Avantgardisten stellt, in denen Morde, Brandschatzungen und ähnlich verheerende Phantasien eine letztlich selbstermächtigende Rolle spielen; und zweitens hat Matisse, sollte es sich dabei um mehr als eine bloße Metapher handeln, diesen aggressiven Impuls natürlich zu sublimieren gewusst, indem er ihn seiner Idealvorstellung von Kunst unterworfen hat. Womit wir gleich beim zweiten und erheblich schwerwiegenderen Klischee wären, das sich diese Ausstellung augenscheinlich zu korrigieren vorgenommen hat. Denn Matisse erweist sich hier durchaus nicht nur als der oberflächliche Dekorateur, der mit leichter und beschwingter Hand seine Gefälligkeiten auf die Leinwand wirft, als der er – gerade im Vergleich mit dem fortwährenden Rivalen Picasso – gerne wahrgenommen wird; sondern er wird als jemand erlebbar, der, obsessiv und von vielen Selbstzweifeln gequält, die Wirklichkeit in das Korsett seiner Imaginationen zwingen will, folglich als jemand, der – notabene beim Portrait! – vom ersten Natureindruck immer mehr abstrahiert, um ihn schließlich, unter Zuhilfenahme solch „ursprünglicher“ Vorbilder wie antiker Plastiken, russischer Ikonen oder primitiver Idole, in das ewige Reich der Kunst zu überführen – weshalb seine Portraits zuweilen auch recht distanziert wirken können. Es geht Matisse, zugespitzter formuliert, also nicht um den Ausdruck des Portraitierten, sondern um den Ausdruck seiner Auseinandersetzung mit ihm. Daher hat er, der laut einer Zeitzeugin geradezu „süchtig nach neuen Gesichtern“ gewesen sein soll, seine Portraitkunst auch immer sehr strategisch einzusetzen verstanden, sie gerade dann intensiviert, wenn sein Werk sich einmal mehr in einer Umbruchphase befand, um sich seiner selbst bzw. seines Könnens zu versichern. Und er konnte.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Matisse. Menschen, Masken, Modelle
31.01 - 19.04.2009

Bucerius Kunst Forum
20095 Hamburg, Rathausmarkt 2
Tel: ++49 (0)40/36 09 96 0, Fax: ++49 (0)40/36 09 96 36
Email: info@buceriuskunstforum.de
http://www.buceriuskunstforum.de/
Öffnungszeiten: Mo - So 11.00 -19.00, Do 11.00 - 21.00


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