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Curate or Die?

CURATE OR DIE ist eine Diskussions-Reihe, die sich mit der Zukunft des Kuratierens auseinandersetzt. Sie wird vom KW Institute for Contemporary Art (Berlin) gemeinsam mit dem Bureau des Arts Plastiques (Berlin) organisiert. Themenschwerpunkt der ersten Veranstaltung dieser Reihe, die am 29. Oktober in Berlin stattfand, war Zentrum und Peripherie. Teilnehmer der Diskussion waren Charlotte Laubard (CAPC, Musée d’Art Contemporain de Bordeaux), Adam Budak (Kunsthaus Graz) und Chus Martinez (Frankfurter Kunsterverein) die für Marta Gili (Jeu de Paume, Paris) einsprang. Die Veranstaltung wurde von Robert Fleck (Deichtorhallen, Hamburg) moderiert. Ekaterina Rietz-Rakul Steve Schepens Translated by Liz Wollner-Grandville Die Veranstaltung fand im Gebäude des KW Berlin-Mitte statt, die erste Adresse in Berlin für Galerien und zeitgenössische Kunst. An einem langen, viel zu hohen Tisch, der mit einem schwarzen Tuch bedeckt war und sich am Dachboden des Hauses befand, nahmen die genannten Personen Platz. Die Gesichter waren von einer einzigen Leselampe und dysfunktionalen Projektionen beleuchtet und verschwanden fast zur Gänze hinter ihren Laptops. In seiner Einleitung wies Fleck darauf hin, dass der Beruf des Kurators in der zeitgenössischen Kunstwelt vor allem seit letztem Sommer an Bedeutung gewonnen hat. Unabhängiges Kuratieren wurde Anfang der 80er Jahre zu einem eigenen Berufszweig und erst in jüngerer Zeit geht der Trend dahin, dass freiberufliche Kuratoren als Leiter europäischer Kunstinstitutionen eingesetzt werden. Die Kuratoren kommen aus allen Teilen der Welt, haben unterschiedliche Ausbildungswege genossen und vermitteln eine neue Lebensart und Arbeitskultur. Diese kulturelle Vielfalt der internationalen unabhängigen Kuratoren in Europa ermöglicht eine anregende Zusammenarbeit und schafft positive Synergien. „Das Phänomen eines unabhängigen Kurators in leitender Funktion eines Kunsthauses (wie die Gäste des Abends) ist eine Eigenheit in Europa und wäre in den USA undenkbar,“ betont Fleck. CHARLOTTE LAUBARD (1975 geboren, Direktor des CAPC seit 2006) „Man hat mich gebeten eine detaillierte Einleitung zu machen, da das CAPC an der Peripherie liegt und so wenige Menschen unser Haus kennen“, sagte Laubard. CAPC zog 1973 in ein ehemaliges Lebensmittel-Lager aus dem 19. Jahrhundert in das damals „Sklaven und Gewürze gebracht wurden.“ In den 60er Jahren übernahm Sigma die CAPC und veranstaltete ein Avantgarde Festival. 1984 wurde das CAPC ein Museum und Mitte der 90er Jahre entwickelte es sich zu einem der wichtigsten Kunstinstitutionen Europas. Das Gebäude ist in sieben Ausstellungsräume aufgeteilt und verfügt über eine Fläche von 5.000 m2. Der Grossteil der Ausstellungen die dort stattfinden kann man als standortspezifisch bezeichnen; d.h. sie orientieren sich an der starken Anziehungskraft und Ausstrahlung der Räume. Darüber hinaus berichtete Laubard über einige unkonventionelle Projekte die im CACP stattfanden. Beispielsweise sperrte sie einmal 20 Kunststudenten für 48 Stunden in das Museum ein. Die jungen Künstler sahen sich durch diese Aktion dazu gezwungen mit dem Gebäude zu interagieren und die Grenzen des Möglichen zu hinterfragen. „Mein Vorgänger wäre zutiefst beleidigt gewesen, hätte er gesehen wie respektlos die Studenten mit dem Gebäude während der Performance umgingen“, sagte Laubard und zeigte ein Photo, auf dem ein Student nackt durch die Räumlichkeiten rannte. Viel Unruhe verursachte auch die Ausstellung „Présumés Innocents“ (2000) die als Stellungnahme zu den Themen Pädophilie und Katholische Kirche gewertet wurde. Projekte von bekannten Künstlern wie Daniel Buren, Jean Pierre Raynaud und Robert Morris sowie Ausstellungen von eingeladenen Kuratoren, darunter Laurent Busine, Harald Szeeman und Nicolas Bourriaud, für „Traffic“ (1996), wurden vom CAPC organisiert. Die eindrucksvolle Sammlung des CACP sowie der gesamte Betrieb des Museums werden von der Stadt Bordeaux finanziert. Allerdings ist die jährliche Unterstützung innerhalb von nur 10 Jahren von ursprünglich 1,5 Mill. Euro auf 300.000 Euro geschrumpft. Hauptgrund dafür war die Wahl eines neuen Bürgermeisters. Neue Projekte sollen in Zukunft den öffentlichen Auftritt des CAPC verbessern. So fehlt beispielsweise derzeit eine eigene CAPC-Website und das Haus seit nur auf der offiziellen Website der Gemeinde Bordeaux unter der Rubrik Kultur und Freizeit angeführt. Auf der CAPC-Website werde demnächst auch das neue Webzine (Online Magazine): rosaB erscheinen. ADAM BUDAK (1966 geboren, seit 2003 Kurator für zeitgenössische Kunst am Kunsthaus Graz). Adam Budak ist der Mitbegründer des Postgraduate-Kurses Theorie und Praxis des Kuratierens an der Jagiellonian Universität in Krakau, Polen. Das Kunsthaus Graz öffnete im Jahr 2003 seine Pforten und ist das „Jüngste“ der rund 19 Abteilungen des Landesmuseums Joanneum und gehört somit zum ältesten und zweitgrößten Museumskomplex Österreichs. Die britischen Architekten Peter Cook und Colin Fournier integrierten die innovative Form des Kunsthauses in das geschichtsträchtige Grazer Ambiente. Die expressive Form des Gebäudes verlieh ihm den Spitznamen „Friendly Alien“ . Das eindrucksvolle bio-morphe Dach - das von Innen wie ein theatralischer Himmel wirkt - sowie die spektakuläre Beleuchtung, verleihen dem Gebäude einen fantastischen und zugleich organischen Schwung. Im Innenbereich ist das Gebäude ebenfalls futuristisch gestaltet und hat mit den konventionellen „weißen Vierecken“ nichts gemeinsam. „Die Ausstellungen im Kunsthaus Graz zeichnen sich stets durch ein erfolgreiches Design aus, da die Künstler ihre Arbeit in diesem inspirierenden Rahmen präsentieren,“ führte Budak weiter aus. Dabei verwies er beispielsweise auf Sol LeWitts Projekt „Wall“ (2004) in dem LeWitt für seine Installation 140 Tonnen Ytong-Steine verwendete. „LeWitts Genialität war sofort erkennbar – er hat das Konzept „Raum“ auf einzigartige Weise dargestellt.“ Die Stadt Graz war immer schon ein mächtiges Kultur-Zentrum. Eines der Hauptanliegen des Kunsthauses sei es, Graz bekannt zu machen. Allerdings sei die Kommunikation „innerhalb der Stadt Graz und über die Grenzen hinaus“ oftmals ein sehr schwieriges und unbefriedigendes Unterfangen. Beispielsweise blieb es fast unbemerkt, dass im Rahmen einer Aktion die Buchstaben auf dem Gebäude des Kunsthauses so wie auf der Website in „Gutzhaus Krans“ geändert wurden. Nach Budaks Ansicht schien das „niemanden zu interessieren.“ CHUS MARTINEZ (1972 geboren, seit 2006 Direktor des Frankfurter Kunstvereins). Im Mittelpunkt von Martinez Ausführungen standen die Besonderheiten des Kuratierens und nicht so sehr die Institution des Frankfurter Kunstvereins. Sie wies darauf hin, dass der Gegensatz zwischen Zentrum und Peripherie vor allem ein informatorischer sei. Ihrer Ansicht nach sei es eine unglückliche Wahl davon auszugehen, dass die Diskussionsreihe von den Veranstaltern aus der Sicht des vermeintlichen Widerspruchs zwischen Curate or Die gestellt wurde. Als Alternative schlug Martinez vor den Gegensatz zwischen Research or Die zu diskutieren. Um eine Kunstinstitution davor zu bewahren, dass ihr Ruf verblasst, sollten Kuratoren mehr unternehmen als nur attraktive Projekte zu kreieren. Sie sollten die geopolitische Lage der Region sowie die geschichtlich- und kulturell-relevanten Wurzeln der Institution beleuchten. Kuratieren sollte durch Power-Action gekennzeichnet sein; „performatives Kuratieren“ sollte so in Kunstinstitutionen eingebunden werden, dass dadurch ihre bisher statische Natur durch die Schaffung neuer Kontakte und Kommunikations-Bereiche verändert wird, meinte Martinez. Als Beispiel gab sie einen kleinen Einblick in die Kuratier-Tradition ihrer Heimat Spanien. Nach General Francos Tod habe sich in Spanien sehr viel geändert. Zeitgenössische Kunst, als neues System einer neuen Gesellschaft, stand im Widerspruch zur Diktatur. Nach Franco „gab es eine enorme Nachfrage nach Raum“ und so entstanden in der Zeit zwischen 1982 und 1996 20 zeitgenössische Kunstinstitutionen. Martinez ging auf die Besonderheiten ein, die sich durch Zentrum und Peripherie der Kunst ergeben. Sie erwähnte in diesem Zusammenhang Bruno Latours Bemerkung über die Kurator-Industrie der EU: „Es ist normal, dass Menschen ihre Unzufriedenheit mittels geopolitischen Vokabulars kundtun. Manche Orte sind eng und klein, aber jeder Ort hat seinen Platz im internationalen Umfeld.“ Heutzutage werde sehr viel über Zentrum und Peripherie debattiert, aber wer setze den Maßstab? „Wir können uns zurzeit nicht vorstellen mit Institutionen in Kabul zusammenzuarbeiten, aber das bedeutet nicht, dass Kabul keine anderen Netzwerk-Partner hätte.“ Martinez ging auch auf die Evolution des Kuratierens ein. Sie betonte die Wichtigkeit von „Veränderung und Gesundheit“ und zitierte neuerlich Bruno Latour: „Wir können nicht mehr über Veränderung nachdenken, aber wir können über die Möglichkeit einer Veränderung nachdenken.“ Die Interaktion zwischen der Neuen Institutionalisierung und der Verfahrens-Methodik der 90er Jahre, die darauf abzielte über das Format und die Grenzen des Establishments hinauszugehen, werde ihrer Meinung nach bestimmt „Früchte tragen und neue Wege des Kuratierens aufzeigen“. Zum Schluss beschrieb Martinez in wenigen Worten den 178 Jahre alten Frankfurter Kunstverein und zeigte einige Photos von Projekten, die von den „drei Affen, die den Kunstverein leiten“ (wie Martinez sich selbst und zwei weitere Kollegen beschreibt) organisiert wurden. Leider kam bei dieser Veranstaltung keine Diskussion zustande. Bleibt nur zu hoffen, dass die zukünftigen Veranstaltungen dieser Reihe lebhafte Diskussionen und ergiebige Einblicke in das Kuratieren, der Geschichte des Kuratierens und der Bedeutung der Förderung von Kunst und Kunstinstitutionen, ermöglichen werden. Nachwort Alle Bewohner des Schtetls Czernowitz kamen im Rathaus zusammen und warteten auf Jan, der im Ausland ein erfolgreicher Mann geworden war und nach langer Zeit wieder sein Czernowitz besuchte. Isaak fragt den Rabbiner: „Rabbi, wo liegt eigentlich Paris?“ „Oh, das ist in Frankreich, ungefähr 2.000 Kilometer von hier“ „Oj! Der arme Janek! So eine Provinz, so weit von Czernowitz!“
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