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Leben? Biomorphe Formen in der Skulptur: Skulptur, im Schaukasten versperrt

Auf seltsam altmodische und unspektakuläre Weise wird im Kunsthaus Graz das Ausstellungsthema “Leben? Biomorphe Formen in der Skulptur” abgehandelt. Das betrifft nicht nur die Form der Präsentation. Als Paradebeispiel sind hier die aus anatomischen, darunter auch menschlichen Präparaten angefertigten skurrilen „Aliens“ des Pekinger Künstlers Xiao Yu zu erwähnen, die bereits heftige Kontroversen ausgelöst haben. Yus kleinteilige Gänsehaut-Skulpturen, die zwischen „Tier, Vogel, Drachen und Mensch“ den Ausdruck neuen Lebens in der Ära des Posthumanen suchen, sind auf traditionellen Podesten in gläsernen Behältern wie in einem Naturkundemuseum platziert. Biomorph bezeichnet den Übergang von einer Form in die andere, oder auch Anpassung und Optimierung der Körperformen an vorgegebene (Lebens-)Bedingungen. Mit dieser Bezeichnung, die auch in der heutigen neoliberalen Utopie und der Gentechnologie eine Rolle spielt, wird ein diffuser und heterogener Bereich von Praktiken und Phantasmen beschrieben, die die Gegenwartsskulptur mit unterschiedlichsten Annäherungsgebärden von Ironie und Coolness bis Melodrama und Furcht konterkariert. Special-Effects wie im Kino gibt es nicht, dafür aber mehrere zusammengetragene und wie ein schützender Kokon wirkende textile Skulpturen (Bündel) der Grazerin Eva Helene Stern, im Alltag eine besessenen Sammlerin, die ihre Fundstücke durch Nähen zu neuen amorphen Leben erweckt. Feinst gewoben ist auch die von der Decke hängende, zauberhaft leuchtende Arbeit der Amerikanerin Ruth Asawa, die es hier als die Pionierin des Biomorphen in der Skulptur zu entdecken gibt. Skeptischer und bodenständiger wirken dagegen Fundstücke in den Skulpturen von Gerold Harold, der Genetik mit Politik gleich stellt und beide Bereiche als erklärungsbedürftige Eingriffe in bestehende Lebensstrukturen deklariert. Als Kreation neuartiger Mensch/Maschine-Synthesen (Stichwort: Cyborg) oder gar als körperlos existierender Geist oder als Flugwesen schwebt in der Luft die skulpturale Form der Koreanerin Lee Bul. Einen prekären Eindruck hinterlassen lebensechte/leichenhafte Skulpturen von Berlinde de Bruyckere. Neben dem drastisch verstümmelten Pferdetorso zeigt sie in einer Vitrine eine monumentale Wachskulptur, die aus einer schauderhaft kreatürlichen Körperknochenmasse mit malerischer Oberflächestruktur besteht. Ist hier die Rede vom "verworfenen Leben", dem "menschlichen Abfall" laut Zygmunt Bauman? Der Wucht der Bilder der Bildhauerin wie auch der These des Soziologen kann man sich scheinbar kaum entziehen. Mittlerweile besinnt sich die Skulptur auf ihre Materialität und schöpft damit neue Qualität, die wiederum Emotionen weckt und schwierige Fragen ethischer Natur aufwirft.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Leben? Biomorphe Formen in der Skulptur
27.09.2008 - 11.01.2009

Kunsthaus Graz
8020 Graz, Lendkai 1
Tel: +43/316/8017-9200, Fax: +43/316/8017-9800
Email: info@kunsthausgraz.at
http://www.kunsthausgraz.at
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 Uhr


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