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Adrian Paci: Exil und Kindheit

„Es war einmal...“: ein kleines Mädchen mit dunklen Löckchen und rührend großen Augen, das heftig gestikulierend eine Geschichte erzählt, und trotz der untertitelbedingten Irritation offenbart sich in dieser Video-Arbeit „Albanian Stories“ (1997) eine beunruhigende Vermischung von märchenhaften Tierfabeln und einschlägigen Vokabeln der Kriegsberichterstattung. Abgesehen davon, dass Adrian Paci hier seine Tochter die lebensweltliche Durchdringung der kriegsähnlichen Zustände im Zuge des sogenannten Lotterieaufstandes veranschaulichen lässt, markieren diese Arbeit und zugleich das Datum seinen ebenso privaten wie künstlerischen Neubeginn. Denn nach seiner Emigration 1997 fängt seine internationale Karriere als bildender Künstler erst wirklich an. Kontext, aber nicht Thema – so unterscheidet der aus dem nordalbanischen Shkodra stammende und mittlerweile in Mailand beheimatete Adrian Paci (geb. 1969) die Relevanz seiner Biografie und Herkunft für sein künstlerisches Schaffen. Die Überblicksschau in Hannover, die natürlich mit der bereits erwähnten, frühesten Arbeit den Auftakt gibt, versammelt Fotografien („Home to Go“, 2001; „Turn On“, 2004), Installation („Piktori“, 2002) und malerische Werke (mehrere Bildserien zu Pier Paolo Pasolinis „Trilogie des Lebens“, 2004ff), doch wirken diese im Vergleich zu den filmischen Arbeiten geradezu wie Beiwerk (in einigen Fällen handelt es sich tatsächlich um im Zuge der Dreharbeiten entstandene oder etwa mit einem Video ergänzte Werkgruppen). Während „Piktori“ den Künstler als in bescheidenen Verhältnissen wirkenden Handwerker und Kopisten vorstellt oder „Believe me I am an artist“ (2000) eine – mithilfe eines wenig verständnisvollen Polizisten – durchaus amüsante Relativierung dieses Berufsbildes als Überwachungsvideo aufgezeichnet, stehen in zwei anderen Arbeiten weniger der lakonische Witz (der aber immer dem Faktischen verbunden bleibt) als vielmehr die formale, stark stilisierte Umsetzung im Vordergrund: „After the wall there are some walls“ (2001) thematisiert Migration vornehmlich als visuell reizvolle Projektion auf Wasserkanister, die auf der Rückseite bereits – bildlich – zu verschwimmen beginnt. In „Centro di Permanenza temporanea“ (2007) sind Menschen sichtlich unterschiedlicher Herkunft auf einem Flugfeld zu sehen, die in rigoroser Formation ein – wie sich herausstellen wird illusorisches – Flugzeug ansteuern. Ihre Gesichter wirken wie eingefroren und bieten Assoziationenflächen für unsere Betrachtung. Die Tatsache, dass sich durch den Drehort Kalifornien auch eine Nähe zu der Traummaschinerie Hollywood herstellt, fungiert da als sinnige Pointe einer ansonsten ziellosen, mehr durch die Kamera als durch die Protagonisten getragenen Handlung. Diese Verlagerung der Aktion in eine geradezu utopische Sphäre unserer Projektionen illustriert auch der 36mm-Film „Per Speculum“ (2006): Die Wendung aus den Paulinischen Briefen übersetzt Paci in wie verklärt wirkende, dem Kitsch nicht ferne Bilder von Kindern, umfangen von unberührter Natur – bis ein Junge eine Steinschleuder ergreift und den Spiegel, auf den die Kamera gerichtet war (wie sich erst allmählich zeigt), zum Zerbersten bringt und somit die diesen Impressionen innewohnende Unschuld verabschiedet. „Jetzt schauen wir in einen Spiegel / und sehen nur rätselhafte Umrisse, / dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“ (I Kor. 13,12) Die kleinen Menschen blenden uns mit den Scherben, so wie das ratternde Geräusch des im Ausstellungsraum stehenden Projektors unsere Sinne in Anspruch nimmt: Reflexion kann so betörend sein.
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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Adrian Paci
09.04 - 15.06.2008

Kunstverein Hannover
30159 Hannover, Sophienstraße 2
Tel: +49 511 32 45 94, Fax: +49 511 363 22 47
Email: mail@kunstverein-hannover.de
http://www.kunstverein-hannover.de
Öffnungszeiten: Di-Sa 12-19, So, feiertags 11-19 h


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