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Theorie und Treterei

Die im übrigen seriöse „Süddeutsche Zeitung“ fand es letzte Woche in einem Einstimmungstext auf die Euro 2008 konvenient, darauf hinzuweisen, dass Hans Krankl beim Jubel über sein zweites Tor in Cordoba, wie es aussieht, eine Erektion hatte. Richtig untergriffig aber wurde es dann 200 Zeilen später. Da stand etwas von Gottfried Helnwein, dass er „der Maler der Verzweifelten“ wäre und dennoch den Johann K. als „wild lachenden Helden porträtiert“ habe. Da war es wieder, das heutzutage Unvermeidliche: Der Fussball in den Fängen der Kulturalisierung. Und so schwadronieren sie ungehemmt drauflos, die Bildproduzenten und Diagrammerzeuger, die Jargonfabrikanten und Kuratoren, die Theorietexter und Cultural Studies-Betreiber. Vehement verlassen sie sich auf die Qualität, die das Diskursive, wie es sich seit knapp einem halben Jahrhundert die Bahn gebrochen hat, auszeichnet: Es ist sowenig historisch und so wenig analytisch, dass es sich nicht falsifizieren lässt. Das aber ist etwas anderes, als wenn es richtig wäre. Kunst ist Kunst und alles andere ist alles andere. Die SG Hinterhuglhapfing aus der letzten Liga ist nie so gut wie einer von den ersten Zehn der Weltrangliste, sagen wir FC Barcelona. Womöglich aber ist der Malmensch, den keiner kennt, genau so gut wie einer von den ersten Zehn der Weltrangliste, sagen wir Georg Baselitz. Das ist der ganze Unterschied, jener Unterschied, den es für die Phrasenhuberei der Ästhetisierung nicht gibt. Graz war der Ort, da die Dämme brachen. 1987 gab es zum steirischen herbst eine Schau, die von Jörg Schlick und Martin Kippenberger zusammengestellt wurde. Elf Abbildungs- und diverse Textseiten im Katalog nimmt dabei ein Auftritt von Werner Büttner ein. Er hatte die Weltmeisterelf von 1974 auf den Marquesas-Inseln in Holz schnitzen lassen, Spieler für Spieler, als wäre es von Balkenhol, und somit die größte Aufmerksankeit beansprucht. Ein Jahr später revanchierte sich der herbst mit einer Präsentation von Nessmann-Schlick-Schuster-Skerbisch-Troger in München und nannte das Ganze „4:1“ – ebenso hatten kurz davor die Österreicher gegen die Deutschen gewonnen. In diesem Katalog nun gibt es das unsterbliche Inserat mit einem Mannschaftsfoto und der auf handschriftlich im Autogrammstil getrimmten Zeile „SK Raika Sturm grüßt die Künstler“. Danke. Seither grüßen die Künstler gnadenlos zurück. Theory meets Treterei. Wenigstens hat der Fussball reagiert: Graz bleibt draussen als Austragungsort der EM.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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