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Prüderie und Leidenschaft - Der Akt in viktorianischer Zeit: Das unbekannte Land zwischen den Schenkeln

Das Faible, das Lewis Carroll kleinen Mädchen entgegenbrachte, hatte nicht nur \"Alice im Wunderland\" zur Folge, sondern auch eine ansehnliche Reihe an Fotos vorpubertärer Nacktheit; größten Wert legte der Oxforder Mathematiker beim Abkonterfeien auf etwas, das er als die Reinheit seiner Modelle ansah, und das hieß zum Mindesten auf das Einverständnis der Eltern. Ganz im Sinne einer solchen Art von Unberührtheit ging die Trennung John Ruskins, des bedeutendsten Ästhetikers des englischen 19. Jahrhunderts, von seiner Frau Effie über die Bühne; sieben Jahre nach der Hochzeit war die Ehe noch nicht vollzogen, und die Gemeinschaft löste sich in jenes Nebulöse auf, das der ortsüblichen Sexualität offenbar ureigen war. Dass es im Englischen für Liebe und für Null das gleiche Wort gibt, ist womöglich kein Zufall. \"Prüderie und Leidenschaft\" nennt sich in aller Hochmögendheit die Ausstellung, die der größten Epoche angelsächsischen Trieblebens nachspürt. Zusammengestellt von der Londoner Tate, macht sie im Moment in München Station. \"Der Akt in viktorianischer Zeit\", so der Untertitel, ist eine breit angelegte Fleischbeschau. Viel Frau und etwas Mann umkreisen dabei das Paradies schwere- und folgenloser Geschlechtlichkeit. Aus dem Reich der Unschuld sind sie zwar augenscheinlich vertrieben. Doch unermüdlich sucht man nach dem zweiten Eingang. Die viktorianische Kunst ist so unter- wie BritArt, BritPop und Tony Blair überschätzt sind. Wenn es eines speziellen Sujets für die in letzter Zeit mit Schwung betriebene Rehabilitierung bedarf, so hat man es im Haus der Kunst jetzt beieinander. Die Schwindsuchtsexzesse der Präraffaeliten, die antikisch getrimmte Décadence von Frederic Leighton oder Lawrence Alma-Tadema und die Sex-and-Crime-Phantasien der Jahre nach 1900 stehen beispielhaft für ein Land und eine Gesellschaft, die sich im Empire verausgabten. Die Hautoberfläche ist ihnen nicht minder feindliches Territorium wie Livingstones und Stanleys Afrika. Und doch und gerade wird man es erobern.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Prüderie und Leidenschaft - Der Akt in viktorianischer Zeit
01.03 - 02.06.2002

Haus der Kunst München
80538 München, Prinzregentenstrasse 1
Tel: +49 (0)89 21127-113, Fax: +49 (0)89 21127-157
Email: mail@hausderkunst.de
http://www.hausderkunst.de/
Öffnungszeiten: Mo – So 10.00 – 20.00, Do 10.00 – 22.00


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