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Michael Sailstorfer: Pneu mit Popcorn

Die plastischen Apparate des Michael Sailstorfer sind Paradebeispiele eines Skulpturbegriffs, den man einst den „erweiterten“ nannte. Speziell Sailstorfers „Zeit ist keine Autobahn“ zeigt, wie die überreiche Erweiterung dabei spielend und spielerisch einhergeht mit der perfekten Inszenierung von Verdichtung. Ein Motor treibt dabei einen Autoreifen an, sportlich, rasant, den Teil fürs Ganze einer Identität der Dynamik und Zeitgemäßheit, doch dreht sich der Pneu exakt auf Tuchfühlung mit der Wand, er schrammt an ihr und verliert im Lauf der Tage erst sein Profil und dann mehr und mehr Partien seiner Oberfläche, die sich im Ausstellungsraum ablagern als Staub, Fäden und Fetzen. Verbrannter Gummi steigt in die Nase, es dröhnt in den Ohren. Zum fünften Mal hat Sailstorfer diese Arbeit, die sich laut Katalogtext bereits das Prädikat eingehandelt hat, „zu den herausragenden Werken der jüngsten Kunstgeschichte“ zu zählen, nun aktualisiert. Letztes Jahr war sie bei „Made in Germany in Hannover zu sehen. Nun stellt sich Sailstorfer damit in der Frankfurter Schirn vor, begleitet von vier Arbeiten allerjüngster Provenienz, in denen er seiner Ästhetik der aufwändigen Beiläufigkeit weiter nachgeht Die Frankfurter Schau, die eine Art Komplement in einer Präsentation von Terence Koh besitzt – es gibt ein Billett, einen Kontrolleur, aber zwei völlig separierte Ausstellungen - ist sicherlich die prominenteste, die der Künstler bisher bestritt. Immerhin ist er gerade 29 Jahre alt. Und doch kommt diese Schau folgerichtig, denn sie widmet sich keinem Newcomer. Sailstorfer hat seit mehr als fünf Jahren seinen guten Namen, und Jobben, sagt er, musste er ab dem vierten Semester an der Münchner Kunstakademie nicht mehr. In der Zwischenzeit kümmern sich drei renomierte Galeristen um ihn, und er ist, wie es sich gehört für einen Aspiranten in die globalisierte Welt, in die Kunst-Haupstadt, nach Berlin, gezogen. Sailstorfer ist Bildhauer, ein klassischer Bildhauer unter den Bedingungen eines neuen, die Unermesslichkeit des Möglichen auslotenden Skulpturenbegriffs. In der Schirn hat er eine Popcorn-Maschine installiert, die unermüdlich Essbares ausstößt, die es ploppen und platzen lässt, bis irgendwann der Raum, das Haus, die Stadt vollgestopft sind. Denn auch das gehört zu Sailstorfers Programmatik: Sie weiß um die Gnadenlosigkeit des Prinzips Entropie- Sei es Pneu oder Popcorn: Irgendwann landet alles wenn nicht im Müll, so doch als Müll.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Michael Sailstorfer
28.05 - 31.08.2008

Schirn Kunsthalle Frankfurt
60311 Frankfurt am Main, Römerberg
Email: welcome@schirn.de
http://www.schirn.de
Öffnungszeiten: Di - So 11.00-19.00 Uhr, Mi - Sa 11.00-22.00 uhr


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