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A man who carries his memory in his eyes

Bevor der 21-jährige Jonas Mekas (geb. 1922) seine Heimat Litauen aufgrund der deutschen Okkupation verlassen musste, statt wie vorgesehen nach Wien zu reisen mit seinem Bruder Adolfas in einem Arbeitslager in der Nähe von Hamburg landete und schließlich, vor der endgültigen Emigration in die USA, wo er bis heute in New York eine neue Heimat finden sollte, sogar noch Philosophie in Mainz studierte, hatte er schon vieles vollbracht. Im zarten Alter von nur 14 Jahren etwa publizierte er bereits seinen ersten Gedichtband, danach kam sein kritisches Engagement im Zuge seiner Mitarbeit für lokale Zeitungen. Nach der Ankunft in der neuen Welt kommt er bald mit einem neuen Medium in Berührung, es ist eine Bolex-Kamera, die den Filmer - wie er sich selbst bezeichnet - nicht nur zu Experimenten anregt, sondern ihm zu einem geradezu intimen Werkzeug und Wegbegleiter wird. Tagebuchartige Aufnahmen entstehen, die von einer unfassbaren Intensität regelrecht zu flackern scheinen und sich dabei doch einen wunderbar leichten, ephemeren Zug bewahren, sowohl was Farben, Lichtsetzung, Kameraführung oder (den bereits im Vorgang des Drehens vorgenommenen) Schnitt betrifft, als auch die Motive selbst: As I was Moving Ahead Occasionally I Saw Brief Glimpses of Beauty (2000) lautet einer dieser grandiosen Titel seiner in ihrer Privatheit dann auch wieder ungemein politischen Filme, die zumeist von jenen flüchtigen Momenten leben, die gerade durch diese poetische Direktheit so sehr berühren. Der Filter, durch den Mekas’ subjektiver, immer wieder von (Jugend-)Erinnerungen getränkter Blick geht, wird verstärkt durch sein voice-over, das diese Impressionen begleitet und kommentiert. Das Abarbeiten an der Vergangenheit als insistierende Strategie des Vergegenwärtigens und zugleich heilsamer Prozess: "You do not forget an experience like that. Knowing my father had that gun in his back, and I, face down in the potato field, all in bloom, white blossoms everywhere. I still remember the intensity of every smell and every color of that moment". Das ist die eine Biografie dieses Filmliebhabers, für die andere trägt er den Titel "Godfather of American avant-garde cinema", und wohl schwerlich lässt sich seine Rolle für die Entwicklung jenes Subgenres unterschätzen. Denn die dutzenden Filme, die erst seit den 90er-Jahren verstärkt auch von Seiten des Kunstbetriebes wahrgenommen und gewürdigt werden, sind zumeist Ergebnis leidenschaftlicher Nachtarbeit; die restliche Zeit war Mekas nicht nur maßgeblich beteiligt an der Schaffung von bis heute relevanten Filminstitutionen, sondern mehrfach deren Initiator. Mitte der 50er-Jahre begannen nicht nur seine journalistische Tätigkeit (für Film Culture und Village Voice), bei der er sich bald ganz dem ‚anderen’ Kino widmete und diesem dadurch wesentlich Gehör verschaffte, sondern ebenso seine Aktivitäten, Filmreihen zu organisieren; anders als Amos Vogels Cinema 16 sollte für ihn jedes filmische Werk das Recht auf Aufführung erhalten: "Nothing should be left unshown or unseen, dirty or clean: Let us see and go further, out of the swamps and into the sun." Es folgte die Gründung der legendären Film-makers’ Cooperative (1962), einem v.a. aufgrund schwieriger Distributionsmöglichkeiten erfolgten Zusammenschluss von Filmschaffenden, und Anthology Film Archives (1970) mit den heute weltweit größten Beständen zum Avantgardefilm. Mekas’ Lehrtätigkeit an der New School for Social Research und am MIT oder auch die Tatsache, dass er für das Zeigen von Jack Smiths "Flaming Creatures" und Jean Genets "Chant d’amour" verhaftet wurde, bezeugen seinen ebenso vielfältigen wie enthusiastischen Einsatz für seine Hingebung; besonders aber wohl das Filmen selbst, das er nach wie vor praktiziert - mit der Überzeugung, es sei nicht professionell, nicht perfekt, aber auf diese Weise, notwendigerweise privat und persönlich. In Paradise Not Yet Lost (1979) gibt er seiner Tochter Oona diesen Ratschlag: "Be idealistic, don't be practical. Seek the insignificant small but essential qualities, essential to life".
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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