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Haim Steinbach: Schrift und Gelehrsamkeit

Das allererste Lichtbild, das von Henry Fox Talbot, keinem geringeren als dem Erfinder jener Form von Fotografie, die qua Negativ-Positiv-Verfahren auch heute noch alltäglich ist, erhalten blieb, datiert auf den 20. Juni 1835. Dieses Foto zeigt ein Papier, über das Meister Fox Talbot seine eigene Signatur gelegt hat. Es ist die Darstellung der Buchstaben des Alphabets, klein- und handgeschrieben. Sonst nichts. Die neue Mechanik huldigt, bevor sie ihren Siegeszug antritt, noch einmal der alten Gestik. Solche Geschichten sind es, die einen traulich stimmen können, wenn der Bildschirm die Buchstaben frißt und die Lettern in der Löschtaste verschwinden. Es hat etwas mit Hingabe zu tun, wie Haim Steinbach in seiner jüngsten Präsentation bei Hubert Winter am Graphischen hängt. "Graphe" hieß einst, im alten Griechenland, sowohl Malerei als auch Schrift. In exakt dieser Interferenzzone bewegen sich die Schwarzweiß-Bilder, die Steinbach in aller Orthodoxie, allem Purismus und aller platzbeanspruchenden Geste ebenso sparsam wie appellativ im Raum verteilt hat. Die Schau besticht durch ihre Strenge. Und wie die klassische Conceptual Art, die erstmals den Primat der Schrift vor der Sprache debattierte, hat Steinbachs Organisation von Oberfläche etwas Beckmesserisches. Minutiös, liebevoll, detailgenau und eigenhändig sind die Lettern ins Karree gefügt. "Either" ist etwa zu lesen, und am anderen Ende der Galerie "Or". "Yo" heißt es auf Spanisch und "Corn Flakes" auf international. Mit den schmalen Wörtern wechseln die Schrifttypen. Gleich aber bleibt das im Wortsinn Graphologische des Verfahrens. Die Flächen der Drucktypen sind entweder mit dem Bleistift gefüllt, der einen ganz gleichmäßigen Überzug anstrebt und dem man dabei stets ansieht, dass sich hier einer in die Unermüdlichkeit strichelt. Oder die Flächen sind mit Wandfarbe gefüllt, und auch hier zeigt sich der Anspruch, Glätte und Geste, Signatur und Signifikant in einem zu liefern. Die Typografik ist seit langem Steinbachs zweites Idiom. Man kennt vor allem seine "Shelfs", die Wandtableaus mit Dingen der Alltagswelt, arrangiert zu Monumenten der Nichtigkeit. Bei den Lettern, so hat man das Gefühl, ist der Künstler demgegenüber viel mehr bei sich. Hier wird er zum Schriftgelehrten. Im Buchstaben spricht ihm die Wahrheit. Haim Steinbachs Inszenierung bei Hubert Winter ist eine Suche nach den letzten Dingen.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Haim Steinbach
08 - 29.03.2002

Galerie Hubert Winter
1070 Wien, Breite Gasse 17
Tel: +43 1 524 09 76, Fax: +43 1 524 09 76 9
Email: office@galeriewinter.at
http://www.galeriewinter.at
Öffnungszeiten: Di-Fr: 11-18h
Sa 11-14h


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