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Mark Rothko - Retrospektive: Erstaunlich tief und erhaben

Vielleicht ist der 23. September 1810 der Gründungstag der Kunstkritik. An diesem Datum eröffnet die große Berliner Kunstausstellung, und zu sehen ist auch Caspar David Friedrichs "Mönch am Meer". Heinrich von Kleist, Redakteur der Abendblätter, bestellt eine Rezension dieses einen Bildes, Clemens Brentano allerdings, der Kritiker, schreibt deutlich anders als der Kollege es vorsah. Brentano ist witzig, brachial und erkennt in Friedrichs leerem Strand nichts als Vordergründigkeit. Kleist möchte es profund, er ändert den Text vollständig und schreibt das berühmte "Es ist, als wären einem die Augenlider weggeschnitten" hinein. Für ihn ist das Bild ganz Tiefensog, ganz Unendlichkeit, ein Manifest des Sublimen. Hier sind sie, die beiden Möglichkeiten moderner Malerei. Ist das Bild Fläche, Flächigkeit, nichts als Farbe auf Grund? Oder ist es Erhabenheit, Ahnung, ein Ausschnitt aus dem Kontinuum des Grenzenlosen? Ist es Buchstäblichkeit, oder ist es Unergründlichkeit? Robert Rosenblum hat den schönen Merksatz geprägt, man müsse aus dem "Mönch am Meer" nur den Mönch entfernen, und schon habe man einen Rothko, um nicht zu sagen, alle Rothkos in bildnerischer Union. Entsprechend, so kann man hinzufügen, ist das notorische Entweder-Oder von Fläche versus Tiefe auch dasjenige Rothkos. Dasjenige Rothkos, und vor allem das seines Publikums. Denn es ist Einstellungssache. Die Ausstellung der HypoKunsthalle liefert Material en masse, sich bei der eigenen Einstellung zu beobachten. Zusammengestellt mit Hilfe von Rothkos Kindern, führt sie die Bandbreite vor, die sich ergibt, wenn man meistens zwei monochrome Flächen einer dritten appliziert. Das realistische, klassizistische, surrealistische Frühwerk wird nicht ausgespart, doch ganz er selber und ganz unepigonal ist der Meister erst mit seinen Signaturbildern. Er kommt ziemlich spät dazu, wie fast alle seiner Kollegen der New York School auch, 45 Jahre sind hoch genug für einen Anfang. Schimmert da etwas? Sind es Nebel, Wolken, Atmosphären? Sind es zumindest Farbkissen, und schweben sie? Oder führt alle Metaphorik ins Leere, und die Gemengelage aus Kolorit ist, was sie ist? Einstellugnssache. Sagen wir es mit einem Dialog, den Brentano den Besuchern Friedrichs abgelauscht hat: "Herr: Unendlich tief und erhaben - Dame: Sie meinen die See? Ja, die muss erstaunlich tief sein. Und der Kapuziner ist auch sehr erhaben."
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Mark Rothko - Retrospektive
08.02 - 27.04.2008

Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung
80333 München, Theatinerstrasse 8
Tel: +49 (0)89 22 44 12, Fax: +49 (0)89 29 16 09 81
Email: kontakt@hypo-kunsthalle.de
http://www.hypo-kunsthalle.de
Öffnungszeiten: täglich 10-20 Uhr


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