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Balthus - Aufgehobene Zeit. Gemälde und Zeichnungen 1932 bis 1960: Kleine Obsession

Es ist unheimlich still hier, auf dieser properen Straße von so eigenartiger Kulissenhaftigkeit, mit potemkinschen Attrappen, hinter denen das schwarze Nichts lauert, und die darum ein wenig wirkt, als wäre sie für den Film gemacht, für einen Stummfilm freilich. Und das, obwohl sie durchaus belebt scheint, voller großer und kleiner Menschen, die, mit Puppengesichtern und gedrechselten Leibern, wie aufgezogen ihrer Arbeit nachgehen oder den Müßiggang pflegen oder ihre Spiele treiben. Besondere Spiele allerdings, wie das "Paar" etwa - die einzigen beiden, die nicht für sich bleiben, sondern miteinander etwas tun -, dessen männlicher Teil das Mädchen gerade mit Gewalt zu packen sucht, mit dem pikanten Detail der einen Hand, die vormals, vor der dem Maler dringend anempfohlenen Übermalung, sogar an ihrem Schoß herumnestelte. Welche Ungeheuerlichkeit das brave Publikum naturgemäß empörte, "La Rue" (1933) folglich zu einem Skandalbild beförderte und Balthus, eigentlich Balthasar Klossowski und aus einer überaus kunstsinnigen Familie gebürtig (sein älterer Bruder Pierre, der zwar primär als philosophischer Schriftsteller hervortrat, aber daneben vom - erotischen - Zeichnen auch nicht lassen konnte, hatte übrigens vor einem halben Jahr an derselben Stelle ebenfalls seine Retrospektive), mit einem Handstreich für alle Zeit in Verruf brachte. Und Balthus hatte sich den Titel eines pinselnden Wüstlings wirklich redlich verdient, denn bei seinem Ausstellungsdebüt 1934, bei dem er sich der Öffentlichkeit mit fünf Werken vorstellte - neben "La Rue" werden in Köln davon noch zwei weitere gezeigt -, hatte er nur wenig unversucht gelassen, den guten Geschmack herauszufordern, hatte mit der aufreizenden "Gitarrenstunde" (hier leider nicht vertreten) sogar sadomasochistische Züchtigungsphantasien auf die Leinwand gebannt, worüber sich gerade die Surrealisten so freuten, dass sie ihn gleich zu einem der ihren machen wollten. Aber Balthus vermied jede Vereinnahmung, stilisierte sich stattdessen zum einsam-unverstandenen Genie und folgte unbeirrt der Bahn eines "erotischen Realismus", die ihn sowohl der anstößigen Motive als auch der - unmodernen - Form wegen gezielt ins Abseits führte. Und dort, in der kunsthistorischen Schmuddelecke, befindet er sich eigentlich bis heute, ist doch die gegenwärtige Schau, man glaubt es kaum, die erste überhaupt, die ihm in Deutschland ausgerichtet wird (wozu dann auch passt, dass ihn kein einziges Museum hierzulande in seinen Beständen führt). Weshalb sich mit dieser überschaubaren Personale, die keine echte Retrospektive sein will, weil sie im Rahmen ihrer Beschränkung auf des Malers beste Jahre den essentiellen oder auch provokanten Balthus - mit beispielsweise nur einer einzigen Landschaft - herauszudestillieren versucht, nun eine einmalige Gelegenheit bietet, das tradierte Urteil zu bestätigen oder zu verwerfen. Und siehe da, die Empörung hat sich ringsum gelegt - dafür hat der Sexus, auch der präadoleszente, unsere Kultur bereits viel zu sehr infiltriert und uns gegen solche Zumutungen überwiegend stumpf werden lassen -, aber geblieben ist ein merkliches Unbehagen, eine stille Verlegenheit vor den Bildern. Diese Betretenheit rührt allerdings weniger vom bloßen Anblick der vor uns hingegossenen niedlichen oder auch koketten Nymphchen, sondern mehr von der raffinierten Manier, mit der Balthus sie in Szene setzt. Denn er zeigt sie stets in tiefer Versunkenheit, mit gebundener Aufmerksamkeit, so dass sie unsere Anwesenheit nicht entdecken und wir unsere Schaulust ungehindert - ohne, wie etwa paradigmatisch bei Manets "Olympia", von ihren Blicken Einhalt geboten zu bekommen - auskosten können. Und das bringt uns in Gewissensnot. Der Kunstgriff mit der Absorption, also der Missachtung des Betrachters, ist übrigens nicht ganz neu, stammt von Diderot - der damit jedoch die moralische Wirkung steigern wollte und nicht ihr Gegenteil - und verdeutlicht einmal mehr, wie sehr Balthus sich von der Kunstgeschichte inspirieren ließ, und da besonders von der Frührenaissance und dem französischen Klassizismus. Kurzum: Wir sehen hier die Wiederauflage eines Alten Meisters vor uns - aber mit einer ganz jungen Obsession.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Balthus - Aufgehobene Zeit. Gemälde und Zeichnungen 1932 bis 1960
18.08 - 04.11.2007

Museum Ludwig
50667 Köln, Bischofsgartenstr. 1
Tel: +49-221-221-26165
Email: info@museum-ludwig.de
http://www.museum-ludwig.de
Öffnungszeiten: Di - So 1018, jeden 1. Donnerstag im Monat 10-22 h


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