Werbung
,

Willie Doherty: Closed circuits

Blaue Wände eines Fabrikgebäudes, Wolken, die sich in den Fenstern spiegeln, leichte Windeinwirkung, die darauf hinweist, dass es sich bei diesen langsam changierenden, farblich reduzierten Impressionen um bewegte Bilder handelt - betritt man den Ausstellungsraum der Hamburger Schau von Willie Doherty, so ist "Empty" (2006) die gleich eingangs positionierte Videoarbeit, die quasi einstimmend den Wahrnehmungsmodus vorgibt: Selten kann bei dem 1959 in Derry (NIR) geborenen Künstler, der den diesjährig erstmals installierten nordirischen Länderpavillon der Venedigbiennale bespielt, von einer Handlung gesprochen werden, häufig sind es ruhige Bilder, zurückgenommene Einstellungen, die vermeintlich neutrale Ein- und Ausblicke gewähren. Das Fenstermotiv spiegelt sich in "Empty" regelrecht selbst, das Innere des Gebäudes ist leer, dafür ergibt sich ein Durchblick - zum hinteren Fenster. Alles andere, die düstere Stimmung, die bedrohliche, die Ruhe vor dem Sturm wiedergebende Atmosphäre und das ebenso wie das möglicherweise von einer militanten Zelle hinterlassen wirkende Szenario, ist bloße Interpretation - das will uns Willie Doherty vor Augen führen. Mag sein, dass dieser Ansatz etwas naiv anmutet, doch angesichts der biografischen Geworfenheit Dohertys gewinnt diese Vorgehensweise durchaus an Brisanz: Jemand, der den Bloody Sunday miterleben musste und dessen Alltag von den Machenschaften der IRA über Jahre hinweg geprägt war, entwickelt naturgemäß eine äußerst kritische Sensibilität für voreilige (Täter/Opfer-)Zuschreibungen und vor allem massenmediale Bilder sowie deren Rhetorik und Potential. Und so drehen sich die Diainstallationen und Videoarbeiten, die seit Beginn der 1990er Jahre entstanden und nun in einer ersten umfassenden Retrospektive in Hamburg und München gezeigt werden, immer um ambivalente Sachverhalte, die Doherty zumeist über technische Eingriffe subtil kommentiert. Die "produktive Uneindeutigkeit" ist es auch, die den Arbeiten ihre Vielschichtigkeit und ihre Kraft verleiht. Während "Same Difference" (1990) noch recht krude eine gleichsam Kuleshovsche Gegenüberstellung vornimmt, indem zweimal das identische Porträt eines jungen Mädchens mit verschiedenen Inserts ("Murderer", "Volunteer" etc.) versehen ist, reicht das Spektrum der ebenfalls zweiteiligen Videoinstallation "Re-Run" (2002) von filmhistorischen Anleihen (Hitchcock und der rasante Schnitt) über ein geradezu selbstbezügliches Loop-Arrangement (die Ausweglosigkeit) bis hin zu der Gleichzeitigkeit diametral entgegengesetzter Positionen - die nicht unwitzige Volte ergibt sich dadurch, dass es auch hier ein und derselbe Darsteller ist, der sich als Gefangener der Endlosschleife selber hinterher- bzw. davonläuft, womit zugleich die reziproke Bedingtheit dieser beiden Seiten der einen medialen Medaille demonstriert wird. In "Non-Specific Threat" (2004) steht in einem nicht näher eruierbaren dunklen Raum ein jüngerer Mann mit Glatze, Jeansjacke, fokussiertem Blick und wird allseitig erfasst, indem die Kamera beständig um ihn kreist. Diese reduzierten Bilder werden von eingelesenen Textfragmenten begleitet, die in ihrer Verknapptheit weniger Informationen wiedergeben, als Assoziationen in Gang setzen. Beunruhigende Ankündigungen wie "There will be no electricity" sind gepaart mit Aussagen, die sich direkt an das Gegenüber im Publikum richten: "I am the embodiment of everything you despise", "I am the reflection of all your fears" oder "I am beyond reason" - polyperspektivische, zugleich ziemlich abstrakt bleibende Annäherungen an das Phänomen Angst und deren Mechanismen, die eine durchaus breiter gefasste Aktualität vorschlagen. So sehr Doherty sich auch mit hochkomplexen Situationen und Ereignissen beschäftigt und dabei immer wieder unterschiedliche Artikulationsformen findet, so sehr scheint er dabei sehr ähnlichen inhaltlichen Konstellationen verhaftet. Diese allerdings sollten - entgegen der gängigen Lesart seiner Arbeit - nicht auf den biografischen bzw. realpolitischen Kontext beschränkt werden; bleibt abzuwarten, ob und wie sich Dohertys Werk weiterentwickelt, nachdem das britische Militär mit August diesen Jahres seinen bisher längsten Einsatz nun offiziell beendete.
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Willie Doherty
19.05 - 02.09.2007

Kunstverein in Hamburg
20095 Hamburg, Klosterwall 23
Tel: +49 40 33 83 44, Fax: +49 40 32 21 59
Email: hamburg@kunstverein.de
http://www.kunstverein.de/
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: