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Vom Verschwinden

Angesichts der Gleichzeitigkeit des Sterbedatums zweier unbestreitbar bedeutenden, eigenwilligen wie einflussreichen Größen der Filmgeschichte überschlagen sich im Chor der Nachrufe die Superlative, die Suche nach historischen wie werkbezogenen Korrelationen, und nicht selten wird das Ende einer Ära ausgerufen: Mit Michelangelo Antonioni und Ingmar Bergman verlieren wir zwei Erneuerer des Films, die über Dekaden die Entwicklung des (Nachkriegs-)Kinos auf so sagenhaft singuläre Weise mitgetragen haben. All den Differenzen zum Trotz, ihr essentielles, ja existentiell zu nennendes Oeuvre weist tatsächlich auch gewisse Gemeinsamkeiten auf: Sei es die stilistische Virtuosität, die beide an den Tag legten, ihre mitunter geradezu verstörend konzentrierte Bildsprache, deren kryptischer Reiz zu mehrmaligem Betrachten herausfordert - eine betörend sinnliche Schule des Sehens (und Hörens) zweifellos. Dabei bedienten sich beide oftmals der rhetorischen Figur des Elliptischen, etwa im radikalen Verzicht auf Dialog (Tystnaden, Das Schweigen, 1963) oder in dem furiosen Finale von L`eclisse (Liebe 1962), wenn minutenlang das nicht stattfindende Treffen zweier Menschen gleichsam umschrieben wird. Sei es im Hinblick auf die Erzählung, die im klassischen Sinne freilich kaum existiert; stattdessen lösen sich die fragmentarischen Realitätspartikel nicht selten von der Indienstnahme seitens einer konventionell-kontinuierlichen Narration und erlangen autonomen Status. Nicht unwesentlich trägt der Grad der Selbstreflexivität des Mediums (Blow-Up; Persona, beide 1966) zu der kühnen Modernität dieser Filmkünstler bei. Während die Anfänge des in Ferrara geborenen Antonioni noch stark den Geist des Neorealismus atmeten und nach einigen dokumentarischen Arbeiten der erste Spielfilm des Spätberufenen Cronaca di un amore (Chronik einer Liebe) erst 1950 entstand, kam der Schwede Bergman bereits in frühen Studentenjahren über das Theater zum Film, er behielt diese Kombination im Übrigen bis in die 1980er Jahre bei, als er sich schließlich nach dem großen Erfolg des vierfach oscar-prämierten, opulenten Werkes Fanny och Alexander (1982) vom Kino verabschiedete - mit der Ausnahme Sarabande (2003), der über 20 Jahre später entstandenen Fortsetzung des Beziehungsschockers Scener ur ett aktenskap, Szenen einer Ehe (hier hingegen steht das Dialogische ganz im Zentrum). Antonioni betätigte sich dafür lange auch schreiberisch, darüber hinaus widmete er sich seit den 80er-Jahren auch der Malerei. Der 1985 erlittene Schlaganfall sollte ihn zwar in seiner weiteren Aktivität stark einschränken, dennoch entstanden auch danach noch filmische Zusammenarbeiten, etwa mit Wim Wenders. Zwischen diesen biografischen Stationen liegen Meisterwerke wie Antonionis fulminanter erster Farbfilm Il Deserto Rosso (Die rote Wüste, 1964) oder Professione: Reporter (Beruf: Reporter, 1975), der Streifen, auf den Jack Nicholson angeblich am meisten stolz ist und der mit einer ebenfalls höchst prominenten Schlusseinstellung Filmgeschichte schrieb, bzw. das traumtrunkene Drama Smultronstallet (Wilde Erdbeeren, 1957) oder Sommaren med Monika (Die Zeit mit Monika, 1952), der laut Godard "originellste Film des originellsten aller Regisseure". 1997 wurde dieses so schmeichelhafte Urteil in Cannes offiziell und Bergman zum "Besten Filmregisseur aller Zeiten" gekürt. Diese Filme jedenfalls werden bestehen, auch ohne das Wissen um persönliche Hintergründe wie etwa Bergmans starke, im Elternhaus verankerte religiöse Auseinandersetzung oder die marxistische Gesinnung Antonionis. Bei all den unorthodoxen, teils hermetisch wirkenden Experimenten stehen letztlich - und also fernab einer zeitgeistlimitierten Lektüre - bei beiden die Fragilität des (zumeist neurotischen, bürgerlichen) Individuums und dessen zwischenmenschlichen Beziehungen, die unter zunehmender Entfremdung und Vereinsamung zu leiden haben, im Vordergrund. Und so düster, zugleich kühl, ja fast zynisch Antonionis wie Bergmans sezierend scharfen Subjektanalysen auch anmuten können, so sehr sind sie doch poetische Erkundungen der fundamentalsten Wirrungen des Menschen, immer wieder Sinnsuche aufs Neue: Erklär mir, Liebe.
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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