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"I mean reading Marx was like being on Acid"

Bunte Luftballons, ein paar Tische und Stühle sowie hingekritzelte Parolen wie "Brecht!", "Fuck the revolution!" oder "Punx dead, Vaudeville instead!". Diese spärliche wie ironische Ausstattung wird noch ergänzt durch eine leicht bedrohlich wirkende, frontal auf das Publikum gerichtete Mauer im Hintergrund, zusammengestückelt aus schätzungsweise 50 Lautsprechern, die auch gebührend zum Einsatz kommen sollten: so hat man sich die Kulisse für einen - mehr akustisch denn inszenatorisch - betörenden Abend in den Berliner Sophiensaelen vorzustellen. Einen doch besonderen Abend. Weniger, weil kaum geprobt wurde (denn die Aufführung sollte durch die Improvisation getragen werden), als vielmehr aufgrund der durchaus prominenten Besetzung. Denn der Regisseur Oliver Augst wählte für das vermeintliche Musical über die Weatherman-Bewegung (einer militanten US-amerikanischen Untergrundgruppierung, die sich in den späten 60er Jahren formierte) und über die Revolution im Allgemeinen drei außergewöhnliche Künstler, die gleichsam als personifizierte Reminiszenzen fungieren. Raymond Pettibon, mittlerweile hoch gehandelter Kunststar, hatte vor 20 Jahren mit Punkgrößen wie Sonic Youth ein Video gedreht, in dem sie sich sarkastisch mit der gescheiterten (linksradikalen) Revolution auseinandersetzten, das nun als Basis für diese Bühnenversion diente. Unerschütterlich saß der schüchtern wirkende Künstler am Tisch und trug Passagen wie "I don`t like American girls, I like Vietnamese girls, they smoke joints" oder "Reading Marx was like being on Acid" vor. Souverän-beiläufig fielen hingegen die Auftritte von Schorsch Kamerun aus, bisweilen entstand sogar der Eindruck, er stünde nicht nur den Inhalten dieser bizarren Revue, sondern auch der Veranstaltung selbst skeptisch gegenüber. Mittlerweile ist auch der Sänger der Goldenen Zitronen - zumindest teilweise - im hochkulturellen Establishment angelangt, seit Jahren schon ist er an namhaften Theaterhäusern tätig und kürzlich wurde ihm der renommierte Hörspielpreis der Kriegsblinden zugesprochen. Gerade dieser Umstand scheint symptomatisch: Vorbei die Zeiten bedingungsloser und absolut gelebter Revolte, doch weder die Ursachen für das Scheitern, noch der Terror, die hinterlassenen Traumata oder die oft problematische Medialisierung werden angesprochen, was sich speziell angesichts der neu entbrannten Debatte um die RAF als verpasste Gelegenheit erweist. Das Trio wurde schließlich vervollständigt durch einem Musiker, der als die japanische Noise-Legende Keiji Haino angekündigt wurde. Er, diese zierliche androgyne Figur, divenhaft ganz in Schwarz gekleidet, mit Sonnenbrille und langer Silbermähne, wurde dieser Bezeichnung allemal gerecht und er sollte es auch sein, der dem Publikum wohl am meisten in Erinnerung bleiben wird. Die Anspannung, ja Panik war deutlich spürbar, jedes Mal, wenn Keiji Haino, der immer wieder auf der Bühne herumschlich, sich auch nur in die Nähe eines Mikrofons oder Instruments (E-Gitarre, Schlagzeug) wagte; denn bald war klar, dass seine musikalischen (auch stimmlichen) Artikulationen - die als exzentrisch zu beschreiben bei weitem nicht dieser virtuosen Darbietung gerecht wird - das Trommelfell nicht unerheblich strapazieren. Und so sehr man seine Kunst (denn das ist sie, zweifellos) auch bloß schmerzhaft finden oder belächeln mag, so schien sein Part dann doch der konsequenteste an diesem Abend zu sein: das subversive, ja kathartische Potential der Lautstärke als radikalste Position in der allzu diffusen und wenig erhellenden oder unterhaltsamen Vorstellung. Mit Raymond Pettibon, Schorsch Kamerun, Keiji Haino, Oliver Augst, Marcel Daemgen 21. - 25.03.2007 (10178 Berlin, Sophienstraße 18) www.sophiensaele.com www.maerzmusik.de
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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