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Von wegen Heimatfilm


"If there`s one national cinema to reflect the elusive entity known as the "New Europe," it`s that of Austria", hieß es vor einigen Monaten überschwänglich im Programm des New Yorker Lincoln Center anlässlich einer Filmreihe zum neuen österreichischen Film, die die ProtagonistInnen der letzten zehn Jahre vorstellte: Barbara Albert, Michael Haneke, Ulrich Seidl - sie und noch weitere sind längst keine Unbekannten mehr, auch und gerade nicht im Ausland. Doch wie verhält es sich mit der - sich schon prinzipiell problematisch gestaltenden - Darstellung einer nationalen Filmlandschaft der letzten 50 Jahre? Den Versuch einer solchen Anthologie unternimmt die 50-teilige DVD-Edition zum österreichischen Film, die - soviel gleich vorweg - mit ihrem Mut und der Offenheit zur Heterogenität als durchaus gelungen zu loben ist, wenngleich sich eine klare Favorisierung der letzten zwei Dekaden abzeichnet. Freilich bietet eine solche Auswahl immer auch Angriffsflächen hinsichtlich nicht vertretener Positionen und einer impliziten Kanonisierung, den Kuratoren der Filmedition, Ernst Kieninger (Filmarchiv Austria) und Claus Philipp (Der Standard), war es jedenfalls ein Anliegen, die gesamte Bandbreite des österreichischen Films zu veranschaulichen, wofür sie sich nicht scheuten, Kassenschlager wie "Müllers Büro" oder auch "Hinterholz 8" neben wichtige Figuren des Avantgardefilms, etwa Ernst Schmidt Jr., Valie Export, Martin Arnold oder Peter Tscherkassky (die letzten beiden in der wunderbaren Found-Footage-Kompilation "Recycling Film History") zu stellen. Unnötig zu erwähnen, dass auch jüngere international erfolgreiche Spielfilme wie "Nordrand", "Die Klavierspielerin" oder "Hundstage" in dieser Edition vertreten sind, doch es sind vor allem "viel zu wenig beachtete Frühwerke und historische Neuentdeckungen", wie die Kuratoren es formulieren, die ebenso in dieser Überblicksdarstellung berücksichtigt wurden und die es allemal wert sind, mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht zu werden: Zu zwei Ausgaben früher Kurzfilme von heute bekannten Filmschaffenden ("Ab morgen wird sich alles ändern" und "Speak Easy") gesellt sich z.B. Kurt Steinwendners erster Spielfilm "Wienerinnen - Schrei nach Liebe" aus dem Jahre 1952, ein teils mit Laien gedrehter, formal wie inhaltlich düster gehaltener Episodenfilm mit Anleihen an den italienischen Neorealismus - fernab der damals üblichen Heimatfilme (auf die im Übrigen in der Edition weitestgehend verzichtet wurde). Der Einfluss der französischen Nouvelle Vague zeigt sich hingegen in "Die Verwundbaren" (1965), der einzigen Regiearbeit des Malers und Architekten Leo Tichat, die den Ennui dekadenter Jugendlicher bebildern will und dabei sogar Homosexualität thematisiert, doch wurde der Film nie regulär im Kino gezeigt (lediglich in umgeschnittener Version in Sexkinos). Bestürzend schön Egon Humers "Postadresse: 2640 Schlöglmühl", eine Bestandsaufnahme eines Ortes und seiner BewohnerInnen, die angesichts einer Fabriksschließung plötzlich mit den unterschiedlichen Facetten der Prekarisierung zu kämpfen haben. Die hier gebotene Möglichkeit, Ruth Beckermanns so wichtiges aufklärerische Dokument nationaler oral history, "Jenseits des Krieges" (1996), in dem ehemalige Soldaten der Wehrmacht zu sprechen kommen, einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, sollte schließlich nicht nur Privatzwecken dienen, sondern als fixer Bestandteil in den Geschichtsunterricht Eingang finden - denn Heimat im Film kann auch anders aussehen als bei Hofrat Geiger. Edition Der Österreichische Film - Kult.Klassiker.Kostbarkeiten Hoanzl, Der Standard, filmarchiv austria je DVD Eur 9,99 www.deroesterreichischefilm.at
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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