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Jean Baudrillard 1929 - 2007

Im März 1986, auf dem Höhepunkt des Simulations-Hypes, erschien ein "Kursbuch" zum Thema "Sprachlose Intelligenz?". Klaus Laermann, der Berliner Germanist, publizierte unter dem mittlerweile selbst zum Klassiker gewordenen Titel "Lacancan und Derridada" darin sein Dementi gegen die "Frankolatrie in den Kulturwissenschaften". Es war eine altlinke Haltung, die seinen Widerstand antrieb gegen die Postmodernen, die aus Frankreich über den Rhein brandeten. Jenseits allen Unbehagens enthält Laermanns Text eine Sentenz, die heute, zu Zeiten der umfassenden Viertelbildung, ungebrochen gültig ist: "Die Sekundärrezeption, die für jede Wissenschaftsmode kennzeichnend ist, ergibt sich aus den Schwierigkeiten, die zentralen Arbeiten einer Theorie zur Kenntnis zu nehmen." Würde man die Trendsetter lesen und womöglich noch im Original, würde es schwieriger werden mit den Kampfbegriffen, die man ihnen anzumerken meint, um daraus Karrieren zu basteln. Damals war es in erster Linie Jean Baudrillard, den man nicht las. Oder wenn man ihn las, blickte man an Louis Althusser oder Gilles Deleuze vorbei, die ihrerseits mitgeholfen hatten an Baudrillards Bausteinen zu einer Gegenwartsanalyse. Und schließlich: Wenn man "Kool Killer" las oder andere seiner Aufsätze zum Zeichengebrauch, die bevorzugt bei "Merve" erschienen, dann übersah man den Exzerptcharakter dieser Texte. Sie sollten beitragen zu einer weitaus umfassender gedachten Theorie. Baudrillards Hauptwerk heißt auf deutsch "Der symbolische Tausch und der Tod", und wie jede Konstruktion mit dem Anspruch auf eine totalisierende Sicht der Welt hat auch Baudrillards Opus ein Telos, eine Perspektive, in die sich etwas Metaphysisches eingeschlichen hat. Dieses Überweltliche, Allumfassende, Unhintergehbare steht im Titel. Es ist der Tod. Baudrillards Bekundungen schillern zwischen Engagement und Unbehagen, Faszination vor der Spektakelkultur und Zynismus. Die situationistischen Wurzeln seines Denkes hat er nie verleugnet, und seine bevorzugte Kunst war jene von CoBrA. Die Verengung auf eine ästhetische Lesart, die sich in der speziell deutschsprachigen Rezeption der Achtziger ereignete, war damit auf eine richtige Weise falsch. Man las Baudrillard als Semiologen und bezog von ihm die perfekten Seismografien für eine beflissen im Stellvertreterkrieg der Zeichen sich abmühende Welt. Baudrillard nannte diese Surrogate für Realität "Simulacrum". Und entsprechend war seine Philosophie in erster Linie eine Folge von Bonmots: "Kunst ist überall, denn das Künstliche steht im Zentrum der Realität." Wenn alles sowieso nur künstlich ist, dann lässt sich frei jonglieren mit den Referenzen. Die Welt bleibt außen vor, und schnell werden dabei artifiziell, künstlich und künstlerisch mir nichts dir nichts zu Synonymen - das kam den der Kunst denn auch sehr zupass. Alles, so ließ es sich verstehen, ist einverleibbar in den Geltungsbereich des Ästhetischen. Einverleibbar durch die Mechanismen der Appropriation. Einverleibbar allerdings, und das ist ebenso eine Tautologie wie es für das Ganze von Baudrillards Subversivität steht, was nicht der Tod ist. Baudrillards Theorie liefert damit den exakten Gegensatz zu den Cultural Studies. Bei ihm ist alles vom Artifiziellen affiziert, bei diesen alles vom Politischen. Der Meisterdenker hatte keine rechte Konjunktur mehr nach seiner Hausse in den früheren Achtzigern. Eine womögliche Renaissance hat er, da er jetzt mit 77 Jahren verstorben ist, nicht mehr erlebt. Dabei wäre er in Hinblick auf seine Opposition zum momentanen Mainstream-Diskurs gerade erst zu entdecken.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Ein exzellenter Nachruf!
keine Ahnung | 14.03.2007 01:09 | antworten
so wie die meisten Nachrufe von Metzger, finde ich übrigens: weder zynisch heruntermachend (wie oft bei Zeitgenossen), noch künstlich überhöhend (wie andere Nachrufe), insgesamt treffend.

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