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Shandyismus - Autorschaft als Genre: Dandyismus

Manche Leute finden kein Ende, was einem auf die Nerven gehen kann. Manche finden demgegenüber keinen Anfang, und gerade die ästhetische Moderne, die so auf die ersten Dinge erpicht war, hält das für eine Erfüllung. Doch auch das kann einem auf die Nerven gehen. Das Paradebeispiel dafür gibt der Tristram Shandy des Lawrence Sterne ab, die Lebengeschichte eines britischen Gentleman aus dem 18. Jahrhundert, der auf Seite 200 immer noch nicht geboren ist. Sterne hat einiges angerichtet mit seiner Schreiberei, man denke nur an Jean Paul, die dann vollends unerträgliche deutsche Version. Sterne ist überbewertet, und weil man schon drin ist im Überschwang, macht man aus dem schwarzen Rechteck auf einer seiner Romanseiten, die einen Grabstein darstellen soll, stracks einen Vorläufer des schwarzen Quadrats. Und aus den vielerlei Abschweifungen und Verlusten an Erzählfäden, die den Schwadroneur so überhaupt nicht den Punkt treffen lassen, macht man die Initialzündung für die Definition moderner Dichterschaft. Der schwer geborene Held wird zum Synonym für den Tod des Autors. "Shandyismus" nennt Helmut Draxler das Phänomen, Sterne für allerlei Aktuelles verantwortlich zu machen. Im Hauptraum der Secession hat er die Belege dafür versammelt, Einzelstücke von Kippenberger oder, gleich drei auf einmal, von Franz West, von Baselitz und Broodthaers; dazu speziell für die Schau Entstandenes und damit Sterne ins Zentrum Rückendes von Josef Strau oder David Jourdan; und schließlich, als gelungenen Versuch für eine Art Ausstellungs-Insert, Vitrinen, in denen Spezialisten der Abteilung Bild und Film zu Wort kommen: Drehli Robnik hat dabei etwa die Kurzauftritte Alfred Hitchcocks zum Thema gemacht oder Astrit Schmidt-Burkhardt den Zusammenhang von Karikatur und Diagramm. Das alles ergibt eine sehr schöne, instruktive Ausstellung, die wenig mit dem schrulligen Insulaner zu tun hat und viel mit dem Ausstellungsmacher. Helmut Draxler war von 1991 bis 1995 Direktor des Münchner Kunstvereins und hat in dieser Zeit mehr oder weniger alles schon einmal vorgeführt, was seither als letzter Schrei an Kuratorenkompetenz gilt. So hochmögend man Sterne goutiert, so wenig wird Draxlers seinerzeitige Leistung gewürdigt. Nach mehr als zehn Jahren hat sich Draxler wieder an einer Schau versucht. Er kann es noch. Shandyismus aber ist doch nicht Dandyismus.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Shandyismus - Autorschaft als Genre
22.02 - 15.04.2007

Secession
1010 Wien, Friedrichstrasse 12
Tel: +43 1 587 53 07, Fax: +43 1 587 53 07-34
Email: office@secession.at
http://www.secession.at
Öffnungszeiten: Di-So 14-18 h


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