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Anachronismen

Zum zwanzigsten Mal fand dieses Jahr in Berlin die transmediale statt, die sich aber erst seit 1998 so nennt, zu Beginn hieß das Festival nämlich noch VideoFilmFest und sollte damals auf diesem Gebiet eine Ergänzung zur Berlinale bieten. Ein geeigneter Anlass, um unter dem Motto "Unfinish!" einen Blick zurück zu wagen: Es wurden regelrechte Ahnherren der Medienkunst und -theorie gewürdigt, eine Nam June Paik-Nacht wurde zu seinem ersten Todestag veranstaltet, eine Sonderausstellung war Marshall McLuhan gewidmet, Vorträge hielten etwa Arthur Kroker oder Friedrich Kittler, und eine Dokumentation aus dem vielseitigen Film- und Videoprogramm portraitierte Joseph Weizenbaum, den nach eigener Aussage Dissidenten und Ketzer der Computerwissenschaft. Neben einem abwechslungsreichen Rahmenprogramm sowie der parallel laufenden Musikschiene clubtransmediale, zu der u.a. die legendäre Detroiter Techno-Formation Underground Resistance eingeladen war, gab es auch eine - quantitativ doch eher bescheidene - Ausstellung. Auffallend war hier der Hang zu einem fast schon poetischen und nicht wie sonst so häufig allzu hermetisch bleibenden Umgang mit diversen Medien. Bei Herwig Weisers imposanter Maschinenplastik "Death Before Disco" wird das Medium zum Material, indem er Impulse aus Weltraumüberwachungen in Licht-Ton-Sensationen übersetzt und dabei die nicht bloß rationalen Auswirkungen auf den Menschen veranschaulicht. Ebenso aus Österreich stammend, spielt Roman Kirschner mit der lakonischen wie eindrucksvollen Arbeit "Roots" sowohl formal (zweigartige Gebilde in einem erdfarbigen Fluidum) als auch inhaltlich (bezugnehmend auf orientalische Ikonografie wie auf Gordon Pask, dem "Dandy der Kybernetik") auf den Titel an, auch dieser Beitrag besticht durch eine nahezu kontemplative wiewohl sinnliche Qualität, die in diesem Fall durch die Langsamkeit der Bewegungsabläufe zum Tragen kommt. Die Reduktion ist in Aram Bartholls "Random Screen" noch gesteigert, indem er gänzlich auf Elektrizität verzichtet und stattdessen diesen sogenannten Low-Tech-Pixel-Bildschirm einzig mit Teelichtern zum Leuchten bringt. Der Preisträger des diesjährigen transmediale-Awards, der Belgier Herman Asselberghs, minimiert in seiner Rauminstallation "Proof of Life" das visuelle Moment und verlagert den (narrativen) Schwerpunkt auf die Tonspur, was eine individuelle, rein imaginäre Bildgenese zur Folge hat. Weniger glatt, dafür in unmittelbarer Entstehungsumgebung konnte man bei den Open Studio Days im tesla die dort erarbeiteten Projekte erkunden und zugleich die bereichernde Gelegenheit zum Dialog nutzen - ebenso eine Form von Interaktion oder auch Partizipation. Als wirklich anarchisch wie anachronistisch lässt sich der italienische Piratensender TeleMonteOrlando bezeichnen, dessen charismatischer Betreiber (dem sogar bei einer Beschimpfung eines Berlusconi-Wählers sein Charme nicht abhanden kommt) der vorwiegend älteren Bevölkerung der Stadt die Anteilnahme an dem kommunalen Geschehen ermöglicht, was der Film "Libertà" auf erfrischend unterhaltsame Weise vermittelt. Als anders unzeitgemäß erwies sich der Umstand, dass die Anzahl der teilnehmenden Frauen auffällig niedrig ausfiel (bei der Ausstellung 1:12), was eine rege Debatte um die sogenannte Quote auslöste. Bleibt zu hoffen, dass der soeben vorgestellte neue künstlerische Leiter Stephen Kovats (zuletzt tätig am V2 Institute for the Unstable Media in Rotterdam) bei dem kommenden Festival dafür mehr Fingerspitzengefühl aufbringt, der Schlachtruf der transmediale.08 lautet jedenfalls: "Conspire!"
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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