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Selbsternannt

Die Rotzlöffeleien, die einem irgendwelche Internet-Leser in der Niedertracht ihrer Namenlosigkeit hinterhertragen, sind im Allgemeinen nicht der Rede wert. Neulich habe ich mir allerdings einen Untergriff eingefangen, von dem heute gehandelt werden soll. Er wolle, so meinte ein Posterling angesichts meiner Bemerkungen zu Hermann Nitsch, nichts über die Qualität von dessen Arbeit sagen, "sondern nur über jene der selbsternannten `Kritiker`". "Kritiker" stand dabei in Anführung. Gehen aber soll es im folgenden um das "Selbsternannt". In der Tat bin ich selbsternannt. Weder der Papst noch der Bundespräsident und auch nicht der Parnass der noch lebenden und schon toten Künstler hat mich eingesetzt. Den Kritiker abzugeben, ist ein Produkt jener Autonomie der Kunst, wie sie die Moderne entwickelt hat. In Hegels "Ästhetik" heisst es dazu erschöpfend: "Seiner Wahrheit nach ist der Geist zwar in sich mit dem Absoluten vermittelt und versöhnt; insofern wir aber hier auf dem Boden der selbständigen Individualität stehen, welche von sich, wie sie sich unmittelbar findet, ausgeht und so sich festhält, so trifft dieselbe Entgötterung auch den handelnden Charakter, der deshalb mit seinen selber zufälligen Zwecken in eine zufällige Welt hinaustritt, mit welcher er sich nicht zu einem in sich kongruenten Ganzen in eins setzt." Unsereiner geht in der Tat von sich, wie er sich unmittelbar findet, aus. Und es hat zugegeben etwas Zufälliges. Hegel hat das mit der Entgötterung in Verbindung gebracht, und er hat darin selbstverständlich Recht, auch wenn man es vielleicht nicht gar so hoch hängen muss. Die Leute, die einem die Selbsternennung vorwerfen, haben jedenfalls genau in diesem Sinn ein Autoritätsproblem. Und sie werden es auch nicht dadurch lösen, dass sie sich zwischen den Zeilen dazu aufwerfen, es wären womöglich sie die Geeignetsten fürs Ernennen. Vor fast dreissig Jahren hat eine solche Auslassung einmal befruchtend gewirkt. Erich Steingräber, damals allmächtiger Chef der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, hatte Laszlo Glozer angeflegelt, den Kritiker der Süddeutschen Zeitung. In alter Verschwörungsbeflissenheit sah Steingräber "eine kleine, aber äußerst agile Clique selbsternannter Meinungsmacher mit System" am Werke. Münchens Kunstszene hatte daraufhin eine konzertierte Aktion beschlossen, Zeitungen gegründet und Ausstellungen verwirklicht, am besten dokumentiert im 1984er "Kunstlandschaft Bundesrepublik". Die Selbsternannten waren auf den Plan getreten. Eine Reaktion auf den Reaktionär. Damals immerhin war er es noch nicht anonym.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Ihre Meinung

5 Postings in diesem Forum
Selbsternannt ist nicht das Problem
Ingrid Reichel | 29.01.2007 08:27 | antworten
Möglicherweise haben sie, herr Metzger recht mit der annahme eines autoritätsproblems bezüglich des anonymen autors. Vielleicht ein überrest oder fan des einstigen Metternichstaates... Auf jedenfall glaube ich nicht das es das "selbsternannte" ist, worüber sie schreiben hätten sollen. Ein kritiker ist ein mensch mit einer meinung, hinter der ein name steht. Damit wird die kritik anfechtbar. Hier geht es um einen leserbrief ohne namen. Es geht um menschen, die nicht hinter ihrer eigenen meinung stehen. Entweder halten diese menschen selbst nichts von ihrer meinung... oder sie haben angst dafür gerade zu stehen. Es ist mir ein bedürfnis das wort, welches sie, herr Metzger offenbar scheuen oder dezent fernließen zu erwähnen. Feigheit! Feigheit ist das problem!
Ganz so, wie es hier steht, war das wieder einmal nicht.
clemens stecher | 30.01.2007 12:58 | antworten
Was mich auch nicht wundert. Die Glosse bezog sich auf ein Buch von Michel Houellebecq, der Kommentar war bis auf die Anführungsstricherln einer der scharfsinnigsten dazu. O-Ton: schön schräg, dass sich sowohl Autor als auch Poster auf Houllebecq berufen, der in der französischen Erstausgabe von "Les Particules élémentaires" Nitsch mit Mühl verwechselt und ersteren wegen Kindesmisshandlung ins Gefängnis gesteckt hat (ich nehme an, dass dieser Fehler in der deutschen Fassung und späteren franz. Fassungen ausgebessert wurde). Houellebecq bleibt genauso im Dunst des Halbwissens wie die weniger bemittelten kulturfeindlichen Kritiker. (Wobei ich damit nichts über die Qualität der Arbeit von Nitsch sagen möchte, sondern nur über jene der selbsternannten "Kritiker") Seltsam eigentlich, dass Sie sich angesprochen fühlten.
vielen Dank
Keine Ahnung | 30.01.2007 10:43 | antworten
für die Wiedergabe. Sie haben absolut Recht, "selbsternannte Kritiker" war nicht einmal auf Herrn Metzger bezogen, denn der ist Kritiker, ob gut oder schlecht ist eine ganz andere Frage. Als "selbsternannt" hatte ich nur die Vorposter bezeichnet. Insofern finde ich auch die Anführungsstriche gerechtfertigt, da es sich ja nicht um Kritiker, sondern um wie mich anonyme Poster des Forums handelte. Und bezüglich Vorposterin und Anonymität: Ich habe einfach keine Lust, für meine nächste Ausstellung von jemandem einen Verriss zu bekommen, nur weil er/sie sauer über ein Posting ist. Mein Hauptthema in diesem Forum ist ja gerade die zu enge Verquickung im österreichischen Journalismus zwischen Sympathie und Meinung. Sie können das feig nennen, ich entgegene darauf mit einer banalen Binsenweisheit: aus Fehlern wird man klug.
Verriss wär doch auch nicht schlecht
Beate Kleinweg | 30.01.2007 04:42 | antworten
Ein Verriss wäre doch nicht das Schlechteste. Sowas gibt´s ja heutzutage kaum noch, alle sogenannte "Kritik" ist beschreibend und dient der Werbung. Ignoriert, nicht erwähnt zu werden, ist doch schlimmer. Wenn Sie sich eines Verrisses für würdig erachten, dann sind Sie ja schon wer.
Sympathie und Meinung
Ingrid Reichel | 12.02.2007 07:38 | antworten
Sie sprechen von freunderl-wirtschaft und korruption? Die werden wir nicht so schnell aus der welt schaffen... doch die ist auch nicht anonym und schon gar nicht versteckt. Sie sprechen von ihren ausstellungen und ihrer angst vor verrissen wegen eines Postings... hmmm... stehen Sie nicht zu ihrer meinung und zu ihrem werk? Eine meinung, die nur auf subjektivem empfinden basiert, ist leicht widerlegbar. Kann sich ein seriöser journalist so etwas leisten, ohne seinen ruf damit zu schädigen? Ich finde sie machen es sich ein wenig einfach. wegen einer schlechten erfahrung. Vielleicht haben sie auch den falschen job gewählt. Ich bin malerin und schreibe nebenbei auch rezensionen. Eine interessante erfahrung, die einem lehrt über die mauern zu schauen. Wenn ich als malerin in der öffentlichkeit auftrete und bekomme schlechte kritik, die ich nicht vertrage, so kann dies nur passieren, weil ich von meiner eigenen arbeit wohl nicht überzeugt bin. Im anderen fall kann ich gut schlafen, da kritiker, die nach lust und laune ihre meinungen abgeben sowieso nicht ernstzunehmen sind. Außerdem wer will die denn? Sie werden mir doch nicht weismachen, dass sie künstler sind, damit alle eine gute meinung von ihnen haben?

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