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Kanon und Kalkül

Schon lange nicht mehr, wenn überhaupt, sagte die Frau an der Rezeption, hätte das Mumok so viele Besucher gesehen. 1.200, 1.500 von ihnen gäben sich täglich die Drehtür weiter, und zweifellos liege das an Erwin Wurm. Wurms spezielle Mitmachkunst hat sich ihren Erfolg auch sehr gut ausgedacht. Da wird vorgeführt und mitprobiert, verschwinden Köpfe wahlweise in Kühlschränken und Kübeln und passiert insgesamt auf weißer Plattform, was Douglas Crimp vor dreissig Jahren als "Staging a picture" in Aussicht stellte. Dabeisein ist alles. Einst stand das unter Devisen wie "Ereignis" oder "Handlung", doch dass das Performative, auf das sich die momentanen Muntermacher berufen, etwas anderes ist als die Performance, hat sich längst erwiesen. Und so forcieren sie gekonnt das Erwartbare. Da fordert der Kunstmensch für seine erste Galerieausstellung Kritiker und andere Funktionäre auf, mit einem Kleidungsstück herauszurücken, und schon liefern sie ihr Prada-Kostüm ab. Da pfercht der Theatermensch Leute in einen Container, am besten in Personalunion arbeitslos, Folteropfer und transsexuell, und die "Krone" wittert den Untergang des Abendlandes und der "Standard" dessen Wiedergeburt. Da rennt der Filmmensch mit seiner Handkamera den Nationalspielern hinterher und alle sind sie glücklich, im Bild zu sein, als wäre es das erste Mal.

Einst gab es eine Welt, da traten die Dinge der Kunst ganz anders auf, nicht ausgedacht, sondern verzweifelt extrahiert aus dem Reich des So-und-nicht-Anders, nicht aufs Funktionieren erpicht, sondern aufgeladen mit Unausweichlichkeit. Damals ließ es sich der Monsignore Otto Mauer angelegen sein, etwa folgendes zu verlautbaren: "Die `Übermalungen` Arnulf Rainers sind der Versuch, aus der Erregtheit der ziellos ins Dasein verlorenen Seele in den Bereich des Einen und Notwendigen vorzustoßen, das am Grunde aller Ereignisse, auch der psychischen, liegt." Damals galt der Kanon, heute gilt das Kalkül. Doch hat es damit nicht sein Bewenden. In der Gegenwart weist ein Hiesiger und Heutiger Blockbuster-Qualitäten auf. In der Albertina aber hat ein alter Mann noch viel mehr Konjunktur, wenn er, ganz wie Mauer meinte, zeigen soll, dass er als Künstler aufwendiger dem Tod entgegenarbeitet als die Normalsterblichen. Der Kanon greift nach dem Besonderen, das Kalkül bedient die Bedürfnisse aller, gemeint zu sein. Es gehört auf jeden Fall zum Kalkül, dass der Kanon weiter wirkt. Und alle halten sich für etwas Besonderes.

Mehr Texte von Rainer Metzger

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