Rainer Metzger,
Eine Anekdote
Der Redner war nicht zur Stelle, um Regierungserklärungen abzugeben oder Lieferverträge für russisches Gas zu verhandeln. Er war vor Ort, um eine Künstleranekdote zu erzählen, und sie ging so. Er, der Redner, war mit Frau und Umfeld in einem bekannten Berliner Restaurant, er nannte natürlich keinen Namen. Jedenfalls verkehrte dort auch Helmut Newton, und wie es so geht unter Celebrities, wurde der Polit-Promi vom Porno-Promi aufs Lichtbild gebannt. Weil man sich anfreundete, wollten beide Promis einmal gemeinsam auf ein Foto drauf, und so machte der Kellner sich ans Werk. Es kam, wie es musste, denn das Profi-Foto sah ziemlich genau so aus wie das vom Amateur. Der Redner war, wie er zugab, irritiert, die Ähnlichkeit hatte seine mühsam bei der Kunst am Bau erworbenen ästhetischen Kriterien doch etwas in Frage gestellt. In diesem Moment also ging Gerhard Schröder zu seinem Freund Markus Lüpertz und fragte um Rat. "Mach dir keine Sorgen", gab der zur Antwort, "Fotografie ist niemals Kunst."
Soweit die Anekdote. Schröder hatte sie in einer Laudatio untergebracht, die Lüpertz` Solo-Schau im BA-CA-Kunstforum am letzten Dienstag einleitete, und es ist eine wirklich schöne Anekdote. Sie hat eine perfekte Pointe. Dass Schröder sie erzählte, der Ex-Kanzler der Deutschen, bürgt für die Launigkeit des "se non è vero, è ben trovato" und für das Umfeld einer Malerfigur, deren Freunde nicht die schönsten, die reichsten oder gar die klügsten sind, aber eben die besten.
Vor allem aber erzählt die Anekdote von der Essenz des Künstlerdaseins, der Rivalität. Wie damals, bei Zeuxis, der seinem Konkurrenten Parrhasios von den Vögeln vorschwärmte, die versucht hatten, die Trauben auf seinem Bild wegzupicken, worauf der Kollege sich revanchierte und einen Vorhang auf die Leinwand malte, den Zeuxis wiederum wegzuziehen versuchte, genauso wie Plinius plauderte, schwadronierte nur Schröder. Der Konkurrent heißt nun ausgerechnet Newton, und es geht nicht nur um den Wettbewerb der Künstler, sondern auch um einen der Künste. Dass Lüpertz ihn gewinnt, und zwar in allen Belangen, versteht sich von selbst.
Mehr als 2.000 Jahre lang waren Künstler nicht zuletzt deswegen Künstler, weil es solche Geschichten, die immer auch Fiktionen waren, gegeben hat. Wie so vieles hat die Moderne auch die Künstlerlegenden verabschiedet und das langweilige - und im übrigen auch nicht wahrere - Zeug von der Authentizität an ihre Stelle gesetzt. Jetzt endlich wieder eine Anekdote. Sie musste erzählt werden. Es war eine gelungene Eröffnung.
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