Werbung
,

Natascha - Lesarten eines "Falles"

Banalität des Bösen. Keiner der Nachbarn hat sich das vorstellen können. Zwar war der Mensch, der sich mit "Gebieter" anreden ließ, etwas sonderlich, und er lebte zurückgezogen. Aber dann gleich sowas! Ja, sowas, und es ist exakt jene Dimension, die Hannah Arendt, als sie vom Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem berichtete, auf den Begriff von der "Banalität des Bösen" brachte. Das Unvorstellbare war schon bei Eichmann, als er die Transporte in die Shoah organisierte, Voraussetzung. Das Unvorstellbare und das Anonyme. Was daraus resultiert, ist so banal wie monströs. Pygmalion. Natascha Kampusch, so versichern die Polizei und ihre Psychologen, sei sehr intelligent, artikuliere sich ungewöhnlich gepflegt und habe ein stupendes Wissen. Eliza Doolittle, das Blumenmädchen, war auch so, nachdem sie die Behandlungsmethoden des Professor Higgins absolviert hatte. Shaws "Pygmalion" zeigt beispielhaft, wie es ist, wenn der Erziehungswahn mit Menschenmaterial hantiert. Bei Shaw gibt es immerhin eine emanzipatorische Pointe, denn das Geschöpf entzieht sich am Ende seinem Schöpfer. Kaum zu glauben, dass das auch in Strasshof glückte. Justine. Die alte Geschichte von Pygmalion, dem Bildhauer, der sich in seine Statue verliebte und sie von Venus mit Leben begaben ließ, wurde von Rousseau in die Moderne übertragen. Klar, dass der Theoretiker aller Verirrungen der Epoche, der seine Kinder ins Waisenhaus steckte, um von der natürlichen Güte zu schwadronieren, in der Geschichte vom Menschen als Verfügungsmasse sein Gefallen fand. Rousseaus konsequentester Adept, De Sade, hat auch diese Geschichte weitergedacht. Seine Justine wird geknetet und gekerbt, gefoltert und mit allem Wahn traktiert, zu dem sich speziell die maskuline Spezies nur aufwerfen kann. Schändung selbstverständlich inbegriffen, doch Justine bleibt, und darin liegt Sades ureigene Häme, dabei ganz Tugendwesen. Ob Natascha Kampusch nur die Geschichte Pygmalions auf den Leib geschrieben wurde, oder doch jene Justines, wird sich in den nächsten Wochen erweisen. Charakter und Analerotik. In Österreich kommt offenbar nichts abhanden. Es liegt jedenfalls eine eigenartige Paralelle darin, wie die beiden spektakulärsten Kriminalfälle der letzten Zeit, der "Fall" Natascha und der "Fall" Saliera, eine Auflösung fanden, die dem Spektakulären krass entgegensteht. Beide Vermisste tauchten einfach wieder auf. Anale Charaktere, schrieb Freud, der seine Pappenheimer kannte, seien "ordentlich, sparsam und eigensinnig". Wie es scheint, ist damit bereits ein Delinquentenprofil gezeichnet.
Mehr Texte von Rainer Metzger

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: