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Yael Bartana: Die Kunst in Zeiten des Krieges

Der Höhepunkt fällt auch hier nach traditioneller Dramaturgie mit dem Ende zusammen. Denn die den Ausstellungsparcours beschließende Arbeit "Trembling Time" (2001), die schon dazumal - als eine der wenigen - auf der Manifesta 4 in Frankfurt zu überzeugen und sich nachhaltig der Erinnerung zu empfehlen wusste, vermag beim jetzigen Wiedersehen auch im geschlossenen Oeuvre von Yael Bartana ihre Vorrangstellung zu behaupten. Und das dürfte nicht zuletzt vielleicht auch darin seinen Grund haben, dass das aktuelle Zeitgeschehen diesem Video eine geradezu unheimliche Brisanz verleiht. Eine nächtliche, nur spärlich beleuchtete Fahrbahn bei Tel Aviv. Der breite Fluss der dahingleitenden Fahrzeuge beginnt beim Ertönen der Sirenen langsam zu stocken und kommt schließlich gänzlich zum Erliegen. Mit gemessenen Bewegungen entsteigen die Insassen ihren Wagen und verharren anschließend für eine Weile auf der Straße. - Dieses Zeremoniell einer landesweiten Schweigeminute findet jährlich am Gedenktag für die Gefallenen der israelischen Kriege seine Aufführung, und Bartana gelingt es subtil, neben der solennen Stimmung auch ein Moment der Beklemmung erfahrbar zu machen, mithin aus der Massenveranstaltung die Unheimlichkeit und die latente Gewalt herauszupräparieren. Eine Gewalt, die nicht nur denen angetan wird, die gegen ihren Willen zur Teilnahme an dieser Kundgebung genötigt werden (niemand kann sich der allgemeinen Stasis widersetzen, auch wenn man dann doch bemerkt, dass nicht jeder Wagen seinen Fahrer freigegeben hat, und darin wohl zu Recht einen unbeugsamen Palästinenser vermutet), sondern auch die erfasst, die scheinbar aus freien Stücken daran partizipieren. Denn die Verabredung bzw. Abordnung zur kollektiven Trauer grenzt schließlich an Gleichschaltung, die Bartana mit statischer Kamera von erhöhtem Standpunkt einfängt, weshalb sich nicht von ungefähr auch Assoziationen mit Filmen wie "Die unheimliche Begegnung mit der dritten Art" einstellen mögen. Diesen distanzierten Blick des Außenseiters behält die hauptsächlich im Amsterdamer Exil lebende Künstlerin umgekehrt selbst ihr ganzes Werk hindurch bei, das sich augenscheinlich die Aufgabe gesetzt hat, die Rituale der (mit einer Ausnahme) israelischen Gesellschaft mit gleichsam ethnologischem Interesse zu erkunden. Manches Mal wird diese äußere Distanznahme jedoch auch durch das jeweilige installative Setting konterkariert und dem Betrachter damit die Identifikation mit den ProtagonistInnen beinahe aufgezwungen (am eindrücklichsten wohl in "Profile" von 2000, wo man über Kopfhörer akustisch ausschließlich das verfolgen kann, was auch die an einer Schießübung teilnehmende Soldatin über ihre Kopfhörer wahrnimmt), womit er dann ironischerweise vor eben die Frage gestellt wird, die auch die den verschiedensten Ritualen ausgesetzten Menschen plagt: lieber man selbst bleiben oder in etwas anderem aufgehen? Verführt Bartana mit ihren Installationen auch nicht immer auf moralisch-maliziöse Weise, so besticht sie aber jedenfalls stets ästhetisch: wie etwa in "Low Relief II" (2004) die in die Wand eingelassenen Bildschirme mit der Grisaille des vielfach gefilterten Bilds harmonieren und beides wiederum auf die versteinerten Verhältnisse zwischen den (israelischen und palästinensischen) Friedensdemonstranten auf der einen und der Polizei auf der anderen Seite verweist - das ist alles andere als graue Kunst.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Yael Bartana
09.06 - 03.09.2006

Kunstverein in Hamburg
20095 Hamburg, Klosterwall 23
Tel: +49 40 33 83 44, Fax: +49 40 32 21 59
Email: hamburg@kunstverein.de
http://www.kunstverein.de/
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 h


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