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Fromme Wünsche

Italienische Journalisten sind derzeit wirklich nicht zu beneiden. Müssen sie sich doch gerade der herkulischen Aufgabe stellen, das Land von dem Berlusconi-Filz zu befreien und dabei gleich serienweise Skandale aufdecken - hier die finsteren Machenschaften des Managers von Juventus Turin Luciano Moggi, dessen kriminelles System aus Kumpanei, Willfährigkeit und nicht zuletzt Korruption jahrelang den Calcio beherrschte und zerstörte, dort nun der immerhin nicht unamüsante Fall des italienischen ?Thronprinzen? Vittorio Emanuele, der sich, ganz vorbildlicher dekadenter Adelsspross, als sexbesessener alter Tölpel mit morscher Moral erweist und sich demnächst - höchst unfein - wegen Manipulation von Spielautomaten und Zuhälterei verantworten wird dürfen. Und schafft es der italienische Journalist trotz seines investigativen und damit irgendwie staatstragenden Tuns ausnahmsweise einmal, zur bloßen Zerstreuung ein WM-Spiel zu verfolgen, wird der Bedauernswerte da - unglaublich, aber wahr - sofort dem nächsten Skandal konfrontiert: Hatte man doch glatt übersehen, dass der Deutsche Frings dem Argentinier Cruz bei den Tumulten nach dem Viertelfinale nicht aus reiner Liebenswürdigkeit mit der Faust übers Kinn strich (so wie Rooney dem armen Carvalho auch nicht rein aus Gründen der Gleichgewichtserhaltung dorthin trat, wo`s wehtut, wie des smarten Engländers originelle Verteidigung mittlerweile lautet). Aber italienische Journalisten pflegen eben neuerdings genauer hinzusehen, und sei es mittels Zeitlupe und Großaufnahme. Und sie pflegen dann auch nicht mehr zu zögern, eine solche Ungerechtigkeit öffentlich zu machen; weshalb die FIFA schließlich nicht umhin konnte, den bösen Frings für das nächste Spiel, das wiederum rein zufällig gegen Italien gehen sollte, zu sperren. Den Frings, der im Argentinien-Spiel bester deutscher Mann war und Riquelme zu weitgehender Wirkungslosigkeit verdammte. Und den Frings, der - man möchte darauf wetten - in der vorletzten Minute der Verlängerung nicht (wie sein passabler Ersatz Kehl) irgendwo auf dem Feld umhergeirrt wäre, sondern genau die Lücke geschlossen hätte, durch die Pirlo mit einem genialen Pass Grosso bediente, dessen zielgenauer Schuss schließlich den deutschen Traum von der Weltmeisterschaft mit einem Mal zunichte machte (der zweite Treffer durch del Piero tat dann nichts mehr zur Sache). Der Traum, der - auch diese Vermutung kann man getrost anstellen - im Elfmeterschießen wohl weitergegangen wäre, denn die deutschen Fußballer haben es sich ja zur furchterregenden Angewohnheit gemacht, solche Showdowns mit der allergrößten Unbeirrbarkeit zu gewinnen, zumal wenn der dazugehörige Zettel als Lehmann-Gedächtnisstütze wahrscheinlich schon wieder vorbereitet war. Kurzum: Der Sieg der Italiener scheint nicht unverdient, denn sie waren über das ganze Spiel - mit Ausnahme vielleicht der zweiten Hälfte der regulären Spielzeit, in der sie überhaupt nicht vorhanden waren - einen Hauch gefährlicher (der potentiell tödliche Pirlo-Pass!). Und man könnte sich sogar für diese Klasse-Mannschaft freuen, weil sie sich endlich von dem ebenso traditionellen wie öden Defensiv-Konzept verabschiedet hat. Wenn da nur nicht diese altbekannten, lästigen Mätzchen wären: also bitte, lieber Totti, du begnadeter Kicker, lass du allen voran davon ab, der größte (Schmieren-)Schauspieler vor dem Herrn sein zu wollen und bei jeder Berührung oder recht eigentlich Nicht-Berührung immer den Sterbenden zu simulieren! Ach ja, und wenn solche frommen Wünsche tatsächlich helfen sollten, dann hätten wir jetzt gerne, dass zur Buße Frankreich Weltmeister wird.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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