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Stefan Sandner: Lettern und Linien

Die alten Griechen hatten einen einzigen Begriff, um zum einen von Schrift, zum anderen von Gemälde zu reden. "Graphe" stand für die Einheit von Wort und Bild. Das erste Motiv, das Henry Fox Talbot seinem neuen, später Fotografie genannten Verfahren unterzog, war seine eigene Handschrift. Die Gründungscharta der Gegenwartsphilosophie wiederum, Derridas "Grammatologie", braucht 500 Seiten dafür zu beweisen, dass das Schreiben ursprünglicher ist als das Sprechen. Wie auch immer man es wendet von der Antike bis zur Aktualität: Ein Wort sagt oft mehr als tausend Bilder. Stefan Sandner ist entsprechend wahrlich nicht der erste, dem der Einfall kam, seine Leinwände dergestalt zu bearbeiten, dass die applizierten Farblinien und Farbflächen wie Buchstaben aussehen und nicht wie Figuren. Er tut das nicht immer, manchmal ist nur Monochromie zu sehen, bisweilen der schlichte Rapport aus Muster auf Grund. Was bei Sandners Auftritt im Hauptraum der Wiener Secession aber ins Auge sticht, ist buchstäblich der Buchstabe. Und mit ihm die Schrift. Und mit ihr die Kontrolle von Sinn. Auch Texte haben ihr Found Footage, und so nimmt sich Sandner vor, was ihm ins Gefüge passt. Tagebucheintragungen von Kurt Cobain sollen es beispielsweise sein, private Notizen, doch unverzüglich geht die pure Idiosynkratik der Schnipsel über in den Jargon der Eingeweihtheit. Da kann man dann, dargeboten in schnell hingeworfenen Lettern, gerade so, als wäre es mit Gestik oder gar auch noch mit Expression aufgeladen, sehen, wie sich eine Visitenkarte von Zdenka Badovinac, der Direktorin der Modernen Galerie in Ljubljana, liest. Sandner liefert, mit Anschrift, Telefon und Mailadresse, was der absolute Beginner braucht, um zu reüssieren. Für den weiteren Verlauf der Karriere kommt auf einer anderen von Sandners Leinwänden der Name von Benjamin Buchloh zum Vorschein, des Chefideologen aller Altlinken der Kunst. Sandners Malereien, gern einmal in die Schiefwinkeligkeit der seligen Shaped Canvases geraten, kokettieren mit dem Kontextuellen. Doch natürlich ist es eine gelinde Banalität, die Kunstbetriebsgrößen aufzufahren und zu glauben, darin läge ein Stück Institutionenkritik. So ist es bei Sandner augenscheinlich auch nicht gemeint. Der kritische Effekt erschließt sich über die Kehrseite. Frau Badovinac und Herr Buchloh, so ist es zu sehen, haben auch nur einen Namen. Und der besteht auch nur aus Linien.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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Stefan Sandner
05.05 - 25.06.2006

Secession
1010 Wien, Friedrichstrasse 12
Tel: +43 1 587 53 07, Fax: +43 1 587 53 07-34
Email: office@secession.at
http://www.secession.at
Öffnungszeiten: Di-So 14-18 h


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