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Beim Sprechen geht es darum, charmant zu sein...

Das Schreiben sei viel klarer als das Sprechen, meint Gilles Deleuze. Trotzdem bereitet es großes Vergnügen, ihm bei zweiterem beizuwohnen. Der französische Philosoph sitzt gemütlich zuhause, ist gut gelaunt, im Spiegel hinter ihm kann man seine Gesprächspartnerin und langjährige Studentin Claire Parnet erkennen. Das ist das Setting dieser einzigartigen (denn Deleuze hatte sich zeitlebens Fernsehauftritten und ähnlichem verweigert) Videodokumentation - einfach und in seiner Unmittelbarkeit doch außergewöhnlich. "Jeder Begriff verweist auf ein Problem, auf Probleme, ohne die er keinen Sinn hätte", heißt es in dem gemeinsam mit Félix Guattari verfassten Buch "Was ist Philosophie?" und so ließe sich auch das Konzept hinter diesen an die acht Stunden dauernden Aufzeichnungen zusammenfassen. Zu jedem Buchstaben im Alphabet wird Deleuze mit einem Wort oder Namen konfrontiert. Von A wie animal bis Z wie zigzag: Der Bogen reicht von Großbegriffen wie Kultur oder Begehren über (natürlich nur vordergründig) leichtfüßigere Themen wie Reisen oder Tennis bis schließlich auch zu Kant und Wittgenstein. Auf fast spielerische Art kommt Deleuze von den Ausgangsbegriffen zu ganz anderen, oft sehr fern liegenden Überlegungen; gleichzeitig rekurrieren Aussagen immer wieder auf davor Besprochenes - das "Prinzip der Konnexion und der Heterogenität", das in "Tausend Plateaus" als eines der Merkmale des rhizomatischen Denkens beschrieben wird, kommt hier zur Anwendung und gelangt durch die Möglichkeit, die Sichtung auch nach Schlagworten, also nicht linear vorzunehmen, zu einer adäquaten Fortsetzung. Im Anhang befindet sich außerdem ein bis dato unveröffentlichter Mitschnitt eines Konferenzbeitrages mit dem Titel "Qu´est-ce que l´acte de la création?" (Was ist der Schaffensakt?) aus dem Jahre 1987. Zur Sprache kommen hier in erster Linie filmspezifische Inhalte, so exemplifiziert der Verfasser der so essentiellen Kinobücher "Das Bewegungs-Bild" und "Das Zeit-Bild" etwa das Thema der Adaption anhand von Dostojewskij und Kurosawa, er schwärmt von den taktilen Momenten bei Bresson oder spricht von der Bedeutung des Traumes im Werk von Minelli. Trotz der bedauerlichen Tatsache, dass die DVD weder Synchronisation noch Untertitelung bereitstellt, also nur der französische O-Ton verfügbar ist, handelt es sich dennoch um eine seltene Gelegenheit, einen großen Denker nicht nur intellektuell, sondern auch auf geradezu intime Weise kennenzulernen, wofür es sich allemal lohnt, eventuelle Sprachbarrieren in Angriff zu nehmen. L`Abécédaire de Gilles Deleuze. Mit Claire Parnet, realisiert durch Pierre-André Boutang, aufgenommen 1988-1989, (Editions Montparnasse), 3 DVDs, Preis: Eur 45,- www.editionsmontparnasse.fr
Mehr Texte von Naoko Kaltschmidt

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