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Gestaltsverhältnisse

Gerade läuft im schweizerischen Winterthur eine wunderbare Ausstellung. Sie dreht sich, wieder einmal, um Manet. Dass das ein großartiger Maler ist, sagten wir vielleicht schon, doch soll es diesmal um eine spezielle Gepflogenheit des Meisters gehen, die die Schau minutiös dokumentiert. Manet hat eine seiner großen Leinwändemit der Schere traktiert, auf der er sich im Konterfei eines Pariser Bierlokals versucht hatte. Unzufrieden mit seiner Arbeit, schnitt er den Stoff in diverse Teile, schmiss weg, nahm Details, stückelte an, so dass es am Ende zwei Bilder gibt: Eines hängt in Winterthur, das andere in Londons National Gallery. In der Ausstellung hängen sie nebeneinander und zeigen in bester Milieustudientreue, was ein Patchwork ist. Bilder haben ihre Schicksale, sei es nun der Künstler selbst oder jemand anders, der Vorsehung spielt. Die Albertina etwa kann ein Lied davon singen. Eine ihrer Ikonen ist selbst Ergebnis einer Bastelei, und wahrscheinlich wäre aus Dürers Studie niemals "Die betenden Hände" geworden, hinge der Apostelkopf noch dran, den der Altmeister ursprünglich mit aufs Blatt zauberte. Ein Grafikverwalter des frühen 19. Jahrhunderts machte aus eins zwei, und man kann nicht sagen, dass das Prozedere eher Nachteil denn Nutzen hervorbrachte. Österreichs Denkmalpflegeszene samt anhängender, plötzlich nur so ins Kraut schießender Berichterstattung zeigt sich im Moment ja sehr staatstragend und also sehr besorgt, dass ein anderes Stück der Albertina womöglich Schaden genommen hat. Ein Mädchenhalbakt von Schiele hat einige Millimeter verloren, und wenn es Kriege gibt um wenige hundert Meter hinter der Grenze, dann kann man sich auch hierüber aufregen. Und sogar ziemlich. "Laßt diese Bildnerei aus den willkürlichsten Formen bestehn, sie wird ohne Gestaltsverhältnis zusammenstimmen; denn Eine Empfindung schuf sie zum charakteristischen Ganzen". So steht es in der Gründungscharta des Prinzips Expression in der Kunst, in Goethes Hymnus "Von deutscher Baukunst", Es wäre anzunehmen, dass Egon Schiele, der Expressionist, einer solchen Erklärung, das "Gestaltsverhältnis" sei sekundär gegenüber der Charakteristik der "Empfindung", zugestimmt hätte. Auch bei seinem Mädchenhalbakt. Doch Schiele kann man gottseidank nicht mehr fragen. Umso hartnäckiger rückt man Schröder zuleibe.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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