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Gregory Crewdson: Zwielichtig

Nach dem Ausstellungsparcours, nachdem man die verschiedenen Serien und die eine Welt dieses Künstlers erfahren hat, kehrt man schließlich erneut zu jenem frühen Bild zurück und erkennt, dass darin - in symbolischer Verbrämung - schon alles enthalten war: Ein junger Mann streckt, wohl auf der Suche nach etwas Entfallenem, seinen Arm durch die Bodenöffnung eines betont adretten Badezimmers und müht sich, in dem darunter liegenden, kontrastiv schmutzigen und gespenstischen Dunkel das Verlorene zu erhaschen. Unterlegt man dieses einer Offenbarung gleichkommende Tableau zudem mit dem gerne kolportierten - wahren oder zumindest gut erfundenen - Bekenntnis des Künstlers, als Kind die psychoanalytischen Sitzungen seines zuhause praktizierenden Vaters durch den Fußboden belauscht zu haben, erhält man letztlich eine stimmige Essenz dessen, was Gregory Crewdson antreibt bzw. er in seiner Kunst betreibt: der unverwandte Blick auf die Nachtseite des Daseins und der damit verbundene, tastende Griff nach dem dort nistenden Unheimlichen und Rätselhaften. Diese romantische Vision oder Obsession verliert sich jedoch nicht in einem vagen Unendlichen, sondern zielt auf ein ganz konkretes Hier und Jetzt, nämlich das kleinstädtische, suburbane Amerika als das ohnehin schon mythenumrankte amerikanische Kernland. Die daraus sich ergebende Gemengelage aus inszenierter und dokumentarischer Photographie, deren prekäre Balance Crewdson nach Neigungen in die eine oder andere Richtung (Early Work, 1986-88; Natural Wonder, 1992-97) mittlerweile auf eindrückliche Weise zu halten vermag, zeitigt nun einen hermetisch abgedichteten, märchenhaften Mikrokosmos, in den aber wiederum auch das Soziogramm einer spätkapitalistischen Gesellschaft eingezeichnet scheint (Sprachlosigkeit, Einsamkeit, Entfremdung etc.). Die oszillierende Uneindeutigkeit dieser so stillen, auch still-gestellten (eine bleierne Schwere scheint über allem zu liegen) Interieur- oder Straßenszenen reizt jedoch dazu, sie durch allerlei Vergleiche zum Sprechen zu bringen und sie in ein postmodernes Verweisspiel mit Vor-Bildern aus den verschiedensten Genres zu ziehen: Anklänge an Edward Hopper, Walker Evans, Jeff Wall, Cindy Sherman oder gar David Lynch können dabei leichthin ausgemacht werden. Diese diskursive Anschlussfähigkeit dürfte wohl auch mit ein Grund dafür sein, warum Crewdson zurzeit das Kunststück gelingt, nicht nur bei Sammlern, sondern auch bei der - assoziationsfreudigen - Kritik zu reüssieren. Und doch setzt nach der ersten, schier unvermeidlichen Faszination alsbald Ernüchterung ein. Man möchte zwar nicht entscheiden, ob das an der überwältigenden Perfektion dieser zugegeben brillanten Arrangements liegt, die allerdings immer auch schon den Keim der Langeweile in sich trägt, oder aber an dem Wissen um den bombastischen Aufwand, der jenes Niveau erst ermöglicht - denn inzwischen umfasst Crewdsons Team bis zu 150 (sic) Personen. Aber irgendwie lassen einen die Bilder eigenartig kalt. Weitere Stationen der Ausstellung: Krefelder Kunstmuseen, Museen Haus Lange, Haus Esters (19.2.-14.5.2006) Fotomuseum Winterthur (3.6.-20.8.2006) Landesgalerie Linz (6.9.-19.11.2006)
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Gregory Crewdson
03.09 - 30.10.2005

Kunstverein Hannover
30159 Hannover, Sophienstraße 2
Tel: +49 511 32 45 94, Fax: +49 511 363 22 47
Email: mail@kunstverein-hannover.de
http://www.kunstverein-hannover.de
Öffnungszeiten: Di-Sa 12-19, So, feiertags 11-19 h


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