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Lucian Freud: Die nackte Wahrheit

"Liebe und Kunst sind die einzigen ernsthaften Dinge für mich." In diesem Sinne ließe sich das die Ausstellung abschließende Gemälde The Painter is Surprised by a Naked Admirer (2004-2005) durchaus als Summa oder retrospektives Programmbild auffassen: Eine junge Nackte schmiegt sich inmitten seines Ateliers an den alten Maler, der unschlüssig scheint, ob er sich die Schmeichelei gefallen lassen oder doch eher der Staffelei zustreben soll, wo - Bild im Bild - eben diese Szene der Fertigstellung harrt. Es könnte sich demnach, auch wenn Lucian Freud sich immer eine allegorische Ausdeutung seines Oeuvres verbeten hat, um eine malerische Reflexion des dialektischen Verhältnisses zwischen seinen beiden lebenspendenden Elementen handeln, also darüber, wie die Liebe der Kunst widerstreitet, sie aber trotzdem befruchtet und letztlich in sie eingeht. Denn so verhielt es sich, wie dieser Rückblick auf die vergangenen fünfzig Schaffensjahre dieses Doyens der realistischen Malerei zeigt, von Anbeginn an, weil Freud in seinem auch anderweitig unbeirrbaren Eigensinn (keine photographischen Vorlagen) zeitlebens Modelle wählte, die er in seinem unmittelbaren privaten Kreis vorfand. Weshalb der Reigen der Portraits, der neben offiziellen Aufträgen aus dem englischen Adel (so hat man die Queen wohl noch nie gesehen) vor allem Bilder seiner Mutter, seiner Geliebten, Frauen, Kinder, Freunde und nicht zuletzt seiner selbst vereint, sehr folgerichtig - und gleichsam als Pendant zum Schlussbild - mit dem noch ganz im Stile der Neuen Sachlichkeit gehaltenen Konterfei seiner ersten Ehegefährtin einsetzt. Der lineare, glatte und insgesamt doch kühle Präzisionismus dieser Frühphase weicht dann ab den späten 50er Jahren und unter dem Einfluss des Künstlerfreundes Francis Bacon einem mehr malerischen Duktus, während die grundsätzliche Bildanlage - formatfüllende Köpfe und Büsten vor neutralem Fond - beibehalten wird. Eine Erweiterung des motivischen Repertoires führen erst die späten 70er Jahre herauf, insofern als dem Betrachter nun eine bühnenhafte Inszenierung mit immer gleich bleibenden Sitz- oder Liegemöbeln als Requisiten (wir befinden uns in Freuds Atelier) und einem sich darauf räkelnden Personal vor Augen gebracht wird, das sich dabei in ungewöhnlich schamloser Nacktheit darbietet. Diese Akte, deren physische Präsenz mittels ebenso pastosem wie virtuosem Farbauftrag bis zum äußersten gesteigert ist ("Die Farbe soll wie Fleisch sein.", L.F.), bilden so wohl einen weiteren Höhepunkt der Freud`schen Portraitkunst, weil sie nämlich weniger der Erotisierung dienen, als vielmehr darauf aus sind, gerade im Zustand der absoluten Ausgesetztheit auch das Wesen des Modells bloßzulegen. Weswegen man - wenn man die Verwandtschaft schon bemühen will - durchaus behaupten darf, dass man darin nichts Geringeres als die Fortführung der großväterlichen Seelensektion mit anderen, also malerischen Mitteln erblicken kann.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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Lucian Freud
10.06 - 30.10.2005

Museo Correr
30124 Venezia, Piazza San Marco
http://www.museiciviciveneziani.it


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