Werbung
,

Otto Muehl - Retrospektive: Der Wichtel in uns

Manchmal haben auch die Geister der Vergangenheit ihr Gutes: Nachdem ehemalige Kommunarden und Muehl-Opfer von dem Vorhaben des Hamburger Sammlers Falckenberg erfuhren, die Wiener MAK-Retrospektive des Aktionisten zu übernehmen, lancierten sie eine Protest-Kampagne, die den honetten Kunstfreund schließlich dazu bewegte, die sich mit der Zeit des kläglich gescheiterten sozialrevolutionären Experiments deckende Schaffensphase aus der hanseatischen Schau auszublenden. Dieser Kompromiss führte mithin dazu, dass die ohnehin - vielleicht mit Ausnahme der frühen Materialbilder - zu vernachlässigende Malerei Muehls, die in ihrem primitiven Gestus entweder ins grell Obszöne oder Epigonale auszuschlagen pflegt, größtenteils eskamotiert und der Blick freigegeben wird auf das wahrhaft zentrale Werk, das vor dem Richterstuhl der Kunstgeschichte tatsächlich Bestand zu haben verspricht. Im Gegensatz zu der die Totalität einfangenden, Muehls sowohl künstlerischen als auch existentiellen Irrweg nachzeichnenden MAK-Ausstellung kann hier nämlich vor allem der Aktionist, also der Künstler in seiner Hochzeit besichtigt werden. Und die einmalige Konzentration des aktionistischen ?uvres - es werden neben etlichen photographischen Dokumentationen ganze 18 Filme auf Großleinwänden gezeigt - gestattet es dabei auch, eine deutliche Zäsur innerhalb dieses Werkabschnitts wahrzunehmen. Denn wenn die frühen Aktionen (ab 1963) noch der kunstimmanenten Strategie geschuldet waren, den - vor allem weiblichen - Körper der Kunst als Material zu gewinnen und ihn gegen die als unfruchtbar empfundene Abstraktion europäischer Prägung, namentlich gegen Informel und Tachismus in Anschlag zu bringen, so bezeugen die Aktionen ab Mitte der 60er Jahre eine parallel zu den Zeitläuften gehende ideologische Aufladung und damit explizit antibourgeoise Stoßrichtung. Richtete sich die Gewalt also zuvor nur gegen den einzelnen Kunstkörper, dann wird sie nun gegen jeden potentiellen Betrachterkörper in dem therapeutisch-emanzipatorischen Bestreben gewandt, den inwendigen "Wichtel" (Otto Muehl) in ihm zu entdecken und flugs zu exorzieren. Formal entspricht dieser Entwicklung ein nur scheinbar überraschender Übergang von den abrupten und die Dramaturgie der Aktionen verwirrenden Schnittfolgen eines Kurt Kren - dessen Ästhetik aber maßgeblich die Erscheinung des Wiener Aktionismus prägte - zu den langen und statischen (und darin an Warhol erinnernden) Einstellungen der später ausschließlich von Muehl selbst fertiggestellten Filme, die aber nur umso eindringlicher die - weiterhin - verfangenden Provokationen zur Geltung bringen. Wer also wie in "Oh Sensibility" (1970) mitansehen muss, wie eine Akteurin mit einer kurz zuvor geköpften und noch immer zuckenden Gans penetriert wird, erinnert vielleicht Susan Sontags Diktum von dem Härtetest, dem die damalige Kunst die Menschen aussetzen wollte. Und diese forcierte Zumutung hat Otto Muehl zweifellos um ein unansehnliches Stück weitergetrieben.
Mehr Texte von Peter Kunitzky

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Otto Muehl - Retrospektive
17.06 - 30.09.2005

Sammlung Falckenberg
21073 Hamburg, Wilstorfer Straße 71
Tel: +49 - (0)40-325067-62
http://www.deichtorhallen.de
Öffnungszeiten: jeder 1. Sonntag im Monat 12-17 h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: