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Die Obsession der Bewegung

Ist es nicht nachgerade erstaunlich, wie viele herausragende Photographen - zumal in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - Ungarn der Welt geschenkt hat? Als da sind: Moholy-Nagy, Kertész, Brassaï, Capa... Nun muss, dank dieser desideraten Monographie, die anlässlich der großen Retrospektive in den Hamburger Deichtorhallen erschien, in solch illustres Verzeichnis wohl auch der Name Martin Munkacsi (wieder)aufgenommen werden, den ein missgünstiges Schicksal bislang um seinen gebührlichen, nicht nur den Eingeweihten abgetrotzten Nachruhm brachte. Und das, obwohl Munkacsi zeit seiner rasanten Karriere, die den Autodidakten Ende der 1920er Jahre nach Deutschland und später, nach der erzwungenen Emigration, in die USA führte, als veritabler Starphotograph galt, mit dem führende Magazine wie die Berliner Illustrirte Zeitung oder Harper`s Bazaar - eine damals von nur wenigen erreichte Weihe - auf den Titelseiten warben und dessen Kunst durch den sprichwörtlichen Munkacsi-Touch geradezu stilprägend wurde. Diese beispielhafte Wirkung ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Munkacsis Bildauffassung auf schlichtweg ideale Weise mit dem Lebensgefühl einer Epoche korrespondierte, die von einer alle Verhältnisse erfassenden Beschleunigung und Dynamisierung gekennzeichnet war, deren gleichsam materialistischer Grund eine technikversessene Sachlichkeit bildete. Munkacsis avancierteste Arbeiten, die von den ästhetischen Prinzipien des Neuen Sehens angeleitet waren, mittels deren die Photographie ja gewissermaßen zu sich selbst fand, waren folglich darauf verpflichtet, das vormals so statische Medium in geradezu filmische Bewegung zu versetzen: also jenen fruchtbaren, peripetischen Augenblick einzufangen, von dem aus der Betrachter am ehesten das Vorhergehende und das Nachfolgende zu erschließen vermag. Kann es da noch verwundern, dass ein Henri Cartier-Bresson, wie er einmal bekannte, einzig von einem Bild Munkacsis beeinflusst sein wollte? Trotz seiner beeindruckenden Vielseitigkeit tut man Munkacsi wahrscheinlich nicht Unrecht mit dem Bescheid, vor allem auf zwei Gebieten wirklich Nachhaltiges geleistet zu haben. So dürften ihm in der ewig unterschätzten Sportphotographie - und da besonders auf den Feldern des Fußballs - Werke von unvergleichlicher Präzision gelungen sein. Und die Modephotographie hat er von der elaborierten Artifizialität eines seinerzeit tonangebenden Baron de Meyer befreit, indem er auf die ebenso einfache wie revolutionäre Idee verfiel, das Modell nicht im Studio posieren, sondern es sich vor natürlicher Kulisse frei bewegen zu lassen. Eine Idee, deren umwälzende Logik man heute verfehlt, weil man sich, wie beispielsweise in den Arbeiten eines Bruce Weber oder Herb Ritts, an ihre Auswirkungen bloß bereits gewöhnt hat. F.C. Gundlach (Hg.): Martin Munkacsi Steidl Verlag, Göttingen 2005 ISBN 3-86521-099-6 Gebunden, 416 Seiten Die Retrospektive "Think while you shoot" in den Deichtorhallen Hamburg ist noch bis zum 14. August zu sehen www.deichtorhallen.de
Mehr Texte von Peter Kunitzky

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