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Versuch über den perfekten Tag

Seit langem versuchen sie im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung ein klassisches Feuilleton zu machen, das heißt, es gibt vielerlei Rubriken, Glossen und Spalten, die das, was in ihnen zu lesen ist, auf einen speziellen Gesichtspunkt, eine Wahrnehmungshaltung oder eine Thematik hin fokussieren. Eine dieser Spalten ist überschrieben mit "Mein perfekter Tag", und unter den angestammten Groß- und Hauptbeitragenden ist am vergangenen Wochenende als Nummer 22 Peter Weibel angetreten. Sein Versuch über den perfekten Tag ist auf jeden Fall ein perfekter Peter Weibel geworden. "Das Vergnügen des Glücks", so resümmiert Weibel, "liegt also in der Vielfalt. Diese Vielfalt wird einem von der Natur nicht geschenkt. Sie muss organisiert und konstruiert werden, auch um den Preis des Scheins und des Symbols. Sie ist das Ergebnis eben von Kultur. Sie ist kein Geschenk des Seins, sondern die Beute der Zivilisation." Das ist sehr schön und sehr allgemein gesagt, und vielleicht hätte man Weibel einfach nur früher nach solchen Aphorismen zur Lebensweisheit hin befragen müssen, dann hätte er sich das ganze Räsonnieren über die Neuen Medien und wie die Eskapismen alle heissen sparen können. Die Kunst kommt in Weibels Ausführungen übrigens genau in Gestalt der Formulierung "die Escape-buttons der Kunst" vor. Wie sieht er also aus, der perfekte Tag? Vielleicht ist es der, an dem du, der du dich für alles im Leben begeistern könntest aber nicht für die Idee, eine documenta auf die Beine zu stellen, erfährst, dass es ein Bekannter von dir, Mann, weiß, zwei Kinder, Hetero, geworden ist, und du dich tatsächlich ganz neidlos freuen kannst. Oder der, da du im Anzengruber der Fussballübertragung beiwohnst, der FC Bayern gewinnt und du der vor Ort allfälligen Verbrüderung von Österreichern und Piefkes die Zunge zeigst. Bei Julian Barnes gibt es eine schöne Geschichte vom Leben im Himmel. Seit Menschengedenken bekommt der Held der Geschichte dort oben die perfekten Ham and Eggs zum Frühstück serviert, hat seit Ewigkeiten dreimal am Tag den wunderbarsten Sex mit der geilsten Frau der Hemisphäre und braucht seit er sich erinnern kann am Nachmittag für seinen Golfparcours genau die achtzehn Schläge für die achtzehn Löcher. Barnes? Geschichte endet mit dem Tag, da der Held in seinem wunschlosen Glück nur noch an eines denkt: Er will endlich sterben, ganz und gar tot sein, keine Erfüllung mehr und keine Wiederholung der Erfüllung. Nur noch Ende. Und das ist es: Der perfekte Tag ist einmalig.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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